0602 - Brutstätte des Bösen
sagte er. »Geh aus dem Weg, sonst wirst du mitschuldig.«
Mein Widerspruch drang ihm hart und überlaut entgegen. »Ich werde es nicht zulassen, daß ihr sie tötet.«
Für einen Moment verengten sich die Augen des Sprechers. Dabei duckte er sich zusammen, als wollte er mich anspringen, hielt sich jedoch zurück. »Nicht zulassen? Sie ist des Teufels. Sie hat das Höllentor geöffnet. Sie hat den Weg freigemacht für das Böse. Sie hat die Kapelle entweiht. Diese Person muß sterben!«
»Nein, nicht sie. Rosa kann nichts dafür. Sie ist eine Verfluchte des Schicksals, nur eine Mittlerin zwischen den beiden verschiedenen Seiten. Sie hat das Pech, anders zu sein, denn sie sieht mit einem dritten Auge und kann Dinge erkennen, die uns verborgen bleiben. Es ist eine Bürde, eine Last. Seid froh, daß ihr sie habt, denn sie hat euch gewarnt, wie ich es sehe. Ohne sie wärt ihr längst verloren gewesen. Laßt sie in Ruhe! Sie wird mit uns gehen.«
Er lachte brüllend auf. »Was wißt ihr denn?« schrie er uns an.
»Was wißt ihr Fremden schon? Gar nichts wißt ihr. Geht und laßt uns mit ihr allein.«
»An diesem Ort wird kein Blut fließen, solange wir hier stehen. Hast du das verstanden?«
Er schaute mich starr an. »Willst du auch sterben? Willst du den Tod auf dich nehmen?«
»Nein, ich werde Rosa retten!«
Der Sprecher drehte sich zu den anderen um. Er redete jetzt sehr schnell, so daß ich nichts verstehen konnte, aber ich erkannte an den Haltungen der Menschen, daß er sie aufgeputscht hatte, denn sie bewegten sich, gaben Kommentare ab, die mich an Schreie erinnerten, und verließen sogar ihre Bankreihen, um einen besseren Ausgangspunkt für irgendwelche Aktionen zu bekommen.
»Das sieht nicht gut aus«, hörte ich Glenda leise sagen.
»Weiß ich. Versuch es. Nimm Rosa mit und lauf auf die Tür zu. Mach schon!«
Es geschah hinter mir, ich konnte es nicht sehen, aber die anderen bekamen es mit.
Auch der Sprecher. Er sah so aus, als könnte er es nicht glauben, stellte sich auf die Zehenspitzen, gab einen Heullaut von sich und sprang plötzlich auf mich zu, wobei er den rechten Arm gehoben hatte, um das lange Messer in einem Halbbogen auf mich zustoßen zu können.
Ich sprang ihm entgegen, nahm das volle Risiko auf mich – und die Klinge sauste nach unten. Er schrie dabei einen lateinischen Satz, in dem das Wort »satanas« vorkam, was mich nicht weiter irritierte, denn ich war voll in ihn hineingegangen.
Mit der Handkante schlug ich zu. Bevor die Spitze auch nur meine Kleidung ritzen konnte, hatte ich ihn erwischt. Der Treffer schleuderte ihn zurück. Sein rechter Arm fiel nach unten, er löste die Faust, das Messer klirrte auf die Steine und blieb liegen. Er selbst hielt sich seinen Arm und wimmerte.
Ich hätte mich gern um Glenda gekümmert, was aber nicht möglich war, denn die anderen Menschen zeigten sich unbeeindruckt.
Sie hatten die Niederlage ihres Anführers miterlebt und wollten ihn rächen. Wie eine geballte Ladung stürmten sie aus den Bänken, bereit, mich, den Frevler, fertigzumachen.
Die Übermacht war zu groß. Ich warf noch einen Blick zurück, sah Glenda und Rosa an der Tür, die mit einem dumpfen Laut aufflog, dann brüllte die Masse so laut, als wollten sie mit ihren Stimmen die Wände der Kapelle einstürzen lassen.
In ihr Schreien peitschte mein Schuß. Ich hatte die Beretta gezogen und die Kugel schräg über ihre Köpfe gesetzt. Oberhalb der Eingangstür hämmerte sie ins Mauerwerk.
Ein Schuß kann manchmal mehr erreichen als tausend Worte. So war es auch hier.
Die Menschen kamen mir vor, als wären sie von einem Extrem ins andere gefallen. Keiner rührte sich mehr. Verteilt standen sie vor mir und starrten mich an.
Ich setzte der akustischen Drohung noch die Krone auf. »Hören Sie zu«, erklärte ich. »Hören Sie genau zu. Die nächste Kugel werde ich nicht in die Wand schießen. Die wird denjenigen erwischen, der es wagt, sich noch einmal falsch zu rühren. Bleiben Sie stehen, ziehen Sie sich zurück, es ist das beste für alle.«
»Nein, nein!« schrie man mich an. »Der Satan ist stärker. Du bist von ihm geschickt worden!«
»Bin ich das tatsächlich?« höhnte ich und streifte mit einer Hand die Silberkette über den Kopf, damit sie endlich mein Kreuz sehen konnten, das frei lag. »Schaut dieses Kreuz an. Ist es…?«
»Der Satan hat es unter Kontrolle!« brüllte eine dunkel gekleidete Frau, um deren Kopf ein Tuch geschlungen war.
»Es ist des Satans!« Sie
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