0602 - Brutstätte des Bösen
schrie, stand zitternd da und hatte den Finger so gestreckt, daß er auf mein Kreuz deutete.
Ich winkte ihr mit dem Kreuz. Zeit gewinnen war alles. Die konnten Rosa und Glenda gebrauchen. »Du glaubst es nicht? Komm her! Komm zu mir und fasse das Kreuz an. Ich will dann von dir wissen, ob du noch immer der Meinung bist. Na los, worauf wartest du? Traust du dich nicht? Hast du Angst vor der eigenen Courage?« Die Worte flossen mir nicht so glatt über die Lippen, schließlich beherrschte ich die Sprache nicht perfekt, aber ich hatte mich verständlich machen können.
Sie zögerte, bewegte ihren Kopf, schaute in andere Gesichter, um Zustimmung zu erheischen.
»Was ist?«
Nicht sie kam, sondern der Sprecher, der noch immer Mühe mit seinem rechten Arm hatte. Er schob sich heran, ging dabei gebückt und ließ den Arm nach unten hängen.
»Willst du es versuchen?« fragte ich.
»Ja…«
»Bitte, ich habe überhaupt nichts dagegen!« Ich schob ihm das Kreuz zu. Er war kleiner als ich, ging zudem geduckt, blickte zu mir hoch. In seinen Augen lag ein ungewöhnlicher Glanz, die Lippen zuckten, dann krümmten sich seine Finger, strichen über das Metall, ohne mein Kreuz allerdings festzuklammern.
Ich preßte es gegen seine offene Hand, hörte den lauten Schrei, der nichts weiter zu bedeuten hatte, weil sich der Mann nur erschreckte.
Mit dem Kreuz geschah nichts. Wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, daß es sich in eine Schlange verwandeln würde, aber es blieb normal. Er konnte es berühren, und seine Finger zitterten ebenso wie seine Lippen.
»Nun? Ich höre!«
Er nickte, löste die Hand vorsichtig und drehte sich mit einer steifen Bewegung um. Er sprach zu den anderen. Diesmal langsamer, so daß ich ihn verstehen konnte. »Es ist kein Satanskreuz. Es ist nicht die Schlange«, flüsterte er, »der Fremde hat recht. Das Kreuz ist etwas ganz Besonderes. Ich habe nie davon gehört, doch ich spürte, daß eine Kraft in ihm steckte.«
»Genau!« rief ich dazwischen. »Eine Gegenkraft zu der des Bösen. Ich bin gekommen, um das Höllentor zu schließen. Padre Georgis hat uns gewarnt, er wußte Bescheid. Er sagte, daß jemand das Kreuz packen und wegwerfen würde, damit es zur Schlange wird. Nicht jedes Kreuz reagiert so. Da, schaut hin!« Ich ging das Risiko ein und warf das Kreuz mit einem Schwung auf die Altarplatte.
Da geschah es!
Der Stein zischte auf und zerplatzte mit lauten, krachenden Geräuschen…
***
Glenda Perkins hatte Rosa auf die schmale Tür zugezerrt. Das junge Mädchen wußte kaum, wie ihm geschah, es setzte sich aber auch nicht zur Wehr, ein großer Vorteil für Glenda.
Sie war eine Frau, die sich auskannte, die es fast gewohnt war, in gewissen Situationen über sich selbst hinauszuwachsen. Was hinter ihnen geschah, interessierte sie nicht. Sie zuckte nur einmal zusammen, als der Schuß fiel.
Da hatte sie bereits eine Hand auf die schmale Eisenklinke gelegt und die Tür aufgerissen. Zusammen mit Rosa stolperte sie in einen kleinen Raum, der als Abstellkammer diente. Kerzen stapelten sich zuhauf. Bänder hielten sie fest, damit sie nicht auseinander fallen konnten. Die Decke war niedrig und gewellt.
Glenda hatte die Tür wieder zugeschlagen, die Geräusche aus dem Innern der Kapelle blieben zurück.
Eine Tür sah sie nicht, dafür ein Fenster. Zum Glück nicht so schmal, als daß sie nicht hätten durchklettern können. Rosa starrte Glenda an. Die Frage stand ihr ins Gesicht geschrieben, doch sie traute sich nicht, sie auszusprechen. Glenda fiel auf, daß ihre Haut ungewöhnlich bleich war und einen schon bläulichen Schimmer besaß, der sich auch innerhalb der Augen fortsetzte. Rosa stand noch immer unter dem Bann des Unheimlichen. Ihre Haare bildeten jetzt eine dunkle glatte Fläche. Der Mittelscheitel gab ihrer Frisur einen unmodernen Touch.
»Was haben Sie vor?«
»Später«, sagte Glenda und ging auf das Fenster zu. »Wir müssen sehen, daß wir hier wegkommen.«
»Wie denn?«
»Das klappt schon.« Vor dem Fenster blieb Glenda stehen und streckte den Arm in die Höhe. Der Griff war schwarz, teilweise angerostet. Sie mußte mit beiden Händen zugreifen, um ihn überhaupt bewegen zu können. Mit einem heftigen Ruck riß sie es auf. Rost rieselte ihr entgegen. Von außen her drang dumpfe Hitze in den kleinen Raum.
»Kommen Sie?« Glenda gab dem Mädchen ein Zeichen, das zwar vorkam, allerdings mit zögernden Schritten. Es dauerte Glenda zu lange. Sie zerrte Rosa an das Fenster heran,
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