0603 - Nächte des Schreckens
Professor Derleth. »In dem Teich, der sich hinter dem Haus am Waldrand befindet. Es war Sommer. Wie das damalige Hausmädchen später einem Reporter von der Lokalzeitung erzählte, hatte der Junge mit seinem Vater ein Holzfloß gebaut. Als er eines Tages mit seinem Floß auf dem Teich herumpaddelte, kippte es um, und Reginald stürzte ins Wasser. Er ging unter und verfing sich mit den Füßen in den Wurzeln der Wasserlilien. Als sie den Jungen schließlich aus dem Teich holten, war es zu spät.« Derleth seufzte. »Reginald war vierzehn Jahre alt. Tragisch, nicht wahr?«
Zamorra nickte. Er trank den letzten Rest seines Biers, nahm eine zweite Dose und riß sie zischend auf. »Was ist nach dem Tod des Jungen passiert?«
»Wie es aussieht, ging alles den Bach runter«, sagte der andere Professor. »Genau weiß man das nicht, weil Marsten das gesamte Personal nach der Sache mit seinem Sohn feuerte. Bis zu seinem spurlosen Verschwinden 1827 lebten er, seine Frau und die drei Töchter allein in der Villa.«
»Was ist danach mit Doris und den Kindern geschehen?«
»Einen Monat, nachdem der alte Marsten spurlos verschwunden war, verkauften sie das Haus und zogen nach New Hampshire. Ich weiß nicht, was später aus ihnen geworden ist.«
»Wurden wegen Marstens Verschwinden irgendwelche offiziellen Untersuchungen durchgeführt?«
Derleth schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Nach Lloyd Marstens Ausstieg aus der Politik schottete er sich derart ab, daß er angeblich kaum noch Kontakt zu irgend jemandem hatte. Er galt als komischer Kauz. Vermutlich waren die Leute in der Gegend froh, als er endlich fort war.«
Zamorra ließ sich das Gehörte durch den Kopf gehen. »Okay«, sagte er dann. »Sonst noch was?«
»Ich fürchte, nein.«
»An wen verkauften die Marstens das Haus?«
»An einen Sägemühlenbesitzer aus dem Ort«, sagte Derleth. »Er hieß Virgil Moore und lebte mit seiner Familie hier in der Villa, bis er eines Nachts im Jahre 1836 plötzlich durchdrehte und seine Frau und seine Tochter im Schlaf erdrosselte. Dann ging er in sein Arbeitszimmer und schoß sich mit seinem Gewehr in den Mund. Niemand hat je erfahren, warum er die Tat beging. Die Motive dafür sind ebenso rätselhaft wie das Verschwinden von Lloyd Marsten zwanzig Jahre zuvor.«
Zamorra nickte. »Ein Haus mit Geschichte«, kommentierte er. »Sowas ist heutzutage bei den Menschen ausgesprochen beliebt…«
»Offenbar nicht bei den Leuten in dieser Gegend«, meinte Derleth. »Die Marsten-Villa steht seit den fünfziger Jahren leer, also seit der letzte Besitzer eines schönen Tages einfach nicht mehr aufzufinden war. Keiner will den Bau kaufen, obwohl der Preis für das Anwesen geradezu lächerlich gering ist. Es ist einfach zu viel in diesem Haus geschehen, das sich nicht erklären läßt.«
Zamorra sah sich um, ließ seinen Blick durch das Eßzimmer hinaus in die Diele wandern, zu dem Tisch mit den Apparaturen, vor dem Collins saß, der Junge mit der Baseballkappe, und die Monitore aufmerksam im Auge behielt. »Irgendein Geist hat sich noch nicht gezeigt, hm?«
Derleth schüttelte den Kopf. »Aber was nicht ist, kann ja noch kommen, nicht wahr? Immerhin haben wir nicht mal Mitternacht.«
Zamorra nickte, sah auf seine Uhr.
Es war zwanzig vor elf.
Zeit, sich zu verkrümeln.
Zamorra gähnte demonstrativ.
Derleth schaute ihn an. »Müde?«
Der Dämonenjäger nickte. »War ein langer Tag«, sagte er. »Das frühe Aufstehen, die Fahrt… Eigentlich würde ich mich gerne für eine Weile aufs Ohr hauen. Geben Sie mir Bescheid, wenn sich irgend etwas regt?«
Derleth nickte. »Natürlich.«
»Wunderbar.« Zamorra stellte die halbvolle Bierdose auf den Tisch und stand auf.
Inzwischen waren die meisten Mitglieder des Teams in anderen Teilen des Hauses verschwunden, um sich auszuruhen oder die Meßinstrumente zu kontrollieren, so daß sich in dem Eßraum und in der Diele nur noch einige wenige Personen aufhielten.
»Angenehme Träume«, wünschte Derleth.
»Hoffen wir's«, sagte Zamorra..
***
Poch! Poch! Poch!
Als das Klopfen an seiner Tür begann, schreckte Zamorra aus einem unruhigen Schlummer hoch. Verwirrt setzte er sich in seinem Schlafsack auf und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
Es war zwanzig nach zwei.
Mitten in der Nacht.
Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten?
Poch! Poch! Poch!
Das Klopfen klang hart, drängend. Offenbar hatte irgendwer etwas so furchtbar Wichtiges auf dem Herzen, daß es nicht bis zum Morgen
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