0607 - U-Bahn ins Jenseits
aussehen.
Im ersten Moment war ich überrascht, dann fiel mir ein, daß ich die Frau schon gesehen hatte. Es war die Person im violetten Kostüm und der gelben Bluse.
Sie trommelte gegen das Fenster, rief meinen Namen, und ich öffnete die Tür.
Einige Passanten waren stehengeblieben, schüttelten die Köpfe, als ich die Frau bat, in den Fond zu steigen.
Sie warf sich hinein, strich Haarlocken aus der Stirn und atmete keuchend. »Nun beruhigen Sie sich erst einmal, Madam…«
»Nein, Mr. Sinclair, nein.« Sie streckte den Arm aus und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich kann mich nicht beruhigen, ich darf es nicht, es ist einfach zu schrecklich.«
»Was denn?«
Ihr Gesicht erstarrte. »Er bringt sie um, verdammt noch mal. Er bringt sie alle um!«
»Wer bringt wen um?«
»Kaifas!«
»Wie bitte?«
Sie nickte heftig. »Ja, Kaifas, dieser verfluchte Teufel. Er will seine Familie töten!«
»Und wer sind Sie, Madam?«
»Carol Lindsey.«
»Okay, Mrs. Lindsey. Sind Sie mit diesem Kaifas verwandt?«
»Zum Glück nicht.«
»Woher wissen Sie dann Bescheid?«
»Weil mich Erica angerufen hat.«
»Wer ist Erica?«
»Seine Frau!« keuchte sie. »Es ist Kaifas Frau, wenn Sie verstehen, Mr. Sinclair.«
»Noch nicht ganz.«
Suko meldete sich. Er dachte praktischer, zudem war er auch nicht angesprochen worden. »Du mußt fahren, John, es geht weiter.«
Ich startete und hörte die schnelle Frau hinter mir. »Wo wollen Sie denn hin?«
»Zu uns nach Hause.«
»Nein!« schrie sie mir ins Ohr. »Um Himmels willen, nur nicht nach Hause!«
»Wohin dann?«
»Nach Belgravia.«
»Was sollen wir denn dort?« fragte Suko.
»Menschenleben retten, bitte!« Sie flehte uns an, rang die Hände, und wir konnten nicht anders. Hätten wir sie abgewiesen, und es wäre tatsächlich etwas passiert, hätte ich mir mein Leben lang nur Vorwürfe gemacht. Zudem sah mir die Frau nicht so aus, als wollte sie uns reinlegen oder in eine Falle locken. Derart verstellen konnte sich niemand.
Bis Belgravia, einem sehr vornehmen Londoner Stadtteil, war es nicht weit. Wir konnten auch auf der Victoria Street bleiben und fuhren sie in westliche Richtung. Daß ich mitten auf der Fahrbahn drehen konnte, verdankte ich nur meiner Sirene, die ich später wieder abstellte.
»Warum lassen Sie sie nicht an?« fragte Mrs. Lindsey.
»Es ist nicht nötig…«
»Doch, es wird nötig sein. Glauben Sie mir. Es ist furchtbar, Mr. Sinclair.«
»Wie sind Sie auf mich gekommen?«
»Erica rief mich an. Sie sprach von Ihnen. ›Hol ihn‹, schrie sie. ›Hol ihn her. Kaifas dreht durch. Er hat den Teufel gefunden, er hat endlich einen Weg gefunden.‹«
»Und das ist echt?«
»Ja, Sir, ja. Ich bin die Nachbarin. Ich habe alles mitansehen müssen. Kaifas hat sich zu einem Tier entwickelt. Nein, ein Tier kann nicht so schlimm sein. Das behandelt seine Familie besser. Dieser Mann ist eine Bestie, eine Mutation. Er ist einfach grauenhaft, und er hat sich finsteren Mächten verschrieben. Er glaubt an sie, er schöpft sogar aus ihnen Kraft. Stellen Sie sich das vor.«
»Das ist schlimm, ich weiß.«
»Schlimm ist kein Ausdruck. Dieser Mensch hat alles vergessen, Sir. Seine Familie, sein Zuhause, die Frau, die beiden Kinder.«
»Wie alt?«
»Siebzehn der Junge, sechzehn das Mädchen.«
»Und weshalb will er die töten?«
Carol Lindsey bewegte unruhig ihre Hände. »Weil sie nicht so wollen, wie er will. Er ist vom Teufel gezeichnet. Er will alle zu sich holen. In ihm tobt ein Dämon. Er spricht oft über das Jenseits und die Schrecken dort. Sie müßten mal sein Zimmer sehen. Ich habe es auch noch nicht besichtigt, aber Erica erzählte mir davon. Ganz in Schwarz gehalten, dazu Teufelsbilder, auch Knochen, die er irgendwelchen Gräbern entnommen hat. Das ist nicht normal!«
»Stimmt.«
Ich schaltete die Sirene wieder an, denn der Verkehr ballte sich nahe des Buckingham Palace noch dichter zusammen, denn hier stießen auch die mit Touristen überfüllten Busse hinzu.
Die Autofahrer reagierten vernünftig. Man schuf uns eine Gasse, und Mrs. Lindsey lehnte sich im Fond zurück, während sie ihre Hände gegen die Wangen drückte. »Hoffentlich klappt es!« flüsterte sie. »Hoffentlich schaffen wir es.«
»Sie hätten sich früher melden sollen«, sagte Suko.
»Ich wollte es ja, aber Erica nicht. Sie hat ihrem Mann noch immer eine Chance gegeben. Schließlich sind die beiden verheiratet und haben auch glückliche Zeiten miteinander gehabt. Aber das
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