0608 - Das Böse kommt
schweres Ächzen entgegen. Ich bekam ein Gänsehaut, die Füße vor meinem Gesicht bewegten sich heftiger. Das Schaukeln nahm zu und wurde derart stark, daß über mir etwas abbrach.
Beim Aufklingen des knirschenden Geräuschs sprang ich blitzschnell zurück. Zusammen mit dem gebrochenen Ast fiel auch der Tote zu Boden. Er prallte dicht vor meine Füße und sackte zusammen, als hätte man sämtliche Knochen gebrochen oder Sehnen durchschnitten.
Die Leiche war zur Seite gefallen. Ich nahm wieder meine Lampe zu Hilfe und strahlte sie an.
Es mußte Lorenzo sein – er war einen furchtbaren Tod gestorben.
Was ich an ihm noch erkennen konnte, das war nicht viel. Gleichzeitig stieg der Zorn wie eine Woge in mir hoch. Ich dachte nicht über Lorenzo nach, sondern über den Mann, der für seinen schlimmen Tod die Verantwortung trug.
Das war der Lord!
Er hatte Lorenzos Geheimnis nicht erfahren können, auch mir würde er nichts sagen, aber ich wollte trotzdem nicht aufgeben, das schwor ich mir in diesen Augenblicken. Seine Aufzeichnungen existierten noch, ich würde versuchen, an sie heranzukommen, auch wenn ich damit den Plänen des Lords und seiner Meute entgegenkam.
Ich wollte mich zu Lorenzo hinabbeugen, als mich etwas störte. Es waren wieder die dumpfen Laute, diesmal nicht von irgendwelchen Pferdehufen erzeugt, sondern durch Schritte.
Ich drehte mich um.
Da kamen sie – der Lord und seine Meute!
***
Sie bildeten eine Reihe, und es waren diesmal nicht ihre geisterhaften Gestalten, denen ich wie in meiner Wohnung gegenüberstand.
In diesem Fall befand ich mich real in ihrer Zeit, so daß ich normal mit ihnen reden und auch kämpfen konnte, wenn es darauf ankam.
Der Lord trug die gleiche Kleidung. Sein Fellmantel wehte bei jedem Schritt beidseitig nach rechts und links. Hinter ihm bildeten die Kuttenträger einen langen Schutz. Ich hatte den Eindruck, als würde das Böse direkt auf mich zukommen.
Ja, das Böse kam…
Auf meinem Rücken spannte sich die Haut. War es positiv oder negativ, daß ich den Gehängten entdeckt hatte? Die folgenden Minuten würden entscheidend sein.
Sie gingen im Schritt. Sie sprachen keine Wort, sie knickten die langen Grashalme, und ihre grau wirkenden Gesichter schauten aus den Öffnungen der Kapuzen hervor.
Waren das Templer?
Ja, allerdings dienten sie Baphomet und standen im krassen Gegensatz zu der Gruppe, die ich mochte und die in meiner Zeit von einem Abbé Bloch angeführt wurde.
Als sie nahe genug herangekommen waren, verteilten sie sich und bildeten einen Halbkreis. Der Lord sprach mich direkt an. »Du wirst aus dem Weg gehen. Wir holen den Toten und schaffen ihn weg.«
»Wohin?«
»Zum Haus der Verräterin.«
Ich wußte, daß ich den Fortlauf des Schicksals nicht beeinflussen konnte und hob die Schultern. Dabei ging ich etwas zur Seite, nur traf der Anführer keinerlei Anstalten, die Leiche aufzuheben. Er kümmerte sich nicht um sie.
Hinter ihm bewegten sich die Kuttenträger. Was sie bisher unter dem Stoff versteckt gehalten hatten, holten sie jetzt hervor. Alte Holzkreuze sah ich ebenso aus ihren Fäusten ragen wie eine Kette aus bleichen Totenschädeln, die der Träger wie ein Lasso über seinem Kopf schwang.
Mit einem dumpfen Schlag prallte einer der Schädel gegen ein Holzkreuz, ohne zu zerbrechen. Das besorgte der Träger des Kreuzes selbst. Vor meinen Augen brach er es auseinander. Seine Kräfte mußten gewaltig sein, daß er so etwas überhaupt schaffte.
Ich schluckte, sagte nichts und wartete eigentlich nur darauf, daß der Lord reagierte.
Sein Blick war hart und böse. Ihm traute ich eine Folter durchaus zu. Er streckte mir seinen Arm entgegen, als wollte er etwas verlangen. Ich rührte mich nicht.
»Gib mir den Spiegel!« forderte er.
»Nein!«
»Er gehört uns.«
»Wer behauptet das? Ihr?«
»Ja.«
»Templer, nicht wahr. Ihr seid Templer, die sich abgespalten haben und einem Dämon wie Baphomet frönen, das weiß ich genau. Ich stehe auf der anderen Seite. Der Spiegel hat das Wechselspiel der Zeiten überdauert, er hat sich einmal in Lorenzos Besitz befunden, jetzt habe ich ihn an mich genommen und werde ihn auch behalten. Ich bin gekommen, um die ganze Wahrheit zu erfahren. Wenn du den Spiegel tatsächlich haben willst, dann mußt du ihn dir holen.«
Ich hatte nicht besonders scharf gesprochen, aber darauf gehofft, ihn beeindrucken zu können.
Der Lord reagierte nicht. Wahrscheinlich überlegte er, wie und ob er mir trauen konnte.
Sie
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