061 - Der Blutgraf
Sie die Weichen der Unterhaltung souverän gestellt.« Die quirlige Verlegerstochter warf ihrem Vater einen raschen Blick zu. »In Rom gibt es eine neue Attraktion.«
»So? Welche denn?« fragte die Schriftstellerin interessiert.
»Eine Mitternachtsmodenschau. Ennio Moravia, der bekannte römische Modeschöpfer, führt in einem kleinen Kastell nahe der Pizza der Navigatori seine herrlichen Kreationen vor. Diese Veranstaltungen finden in Rom großen Anklang. Trotz der späten Stunde kommen viele Zuschauer. Es gibt Leute, die behaupten, es würden nicht so viele Besucher kommen, wenn Conte Cassandrini nicht an den Vorführungen teilnehmen würde. Er ist ein echter Graf.«
»Ein Graf, der als Dressman arbeitet?« fragte Vladek Rodensky.
»Warum nicht?« entgegnete Angela Giordo. »Er ist der eigentliche Star der Nacht. Ein geheimnisumwitterter Mann. Faszinierend, attraktiv. Die Mädchen von siebzehn bis siebzig sind von ihm begeistert. Wenn Marco Cassandrini erscheint, schlagen die Frauenherzen höher. Er wohnt in einem unheimlichen Schloß vor den Toren Roms, und es heißt, die Liebe, die er schenke, wäre grausam schön.«
»Ein Reklametrick von Ennio Moravia?« fragte Vicky Bonney amüsiert.
»Kann schon sein. Jedenfalls scheinen mir die Gerüchte geschickt in die Welt gesetzt worden zu sein. Die Leute raufen sich um die Eintrittskarten.«
»Ich muß gestehen, Sie haben mich neugierig gemacht«, sagte die Schriftstellerin. »Ließe sich in den nächsten Tagen ein Besuch bei Ennio Moravia arrangieren?«
»Warum nicht gleich heute nacht?« fragte Angela Giordo strahlend. »Papa kennt den großen Meister persönlich. Ein Anruf genügt, und Signore Moravia reserviert uns vier Plätze.«
Vicky schaute Vladek Rodensky an. »Hättest du Lust, da hinzugehen?«
Massimo Giordo warf seiner Tochter einen rügenden Blick zu. »Miß Bonney ist heute vielleicht zu müde. Du solltest sie nicht gleich am ersten Tag so überfallen, Angela. Sie ist schließlich noch länger in Rom.« Er wandte sich an die Schriftstellerin. »Wenn Sie morgen oder übermorgen die Mitternachtsmodenschau sehen möchten, rufe ich Ennio Moravia gern an.«
»Ich bin nicht müde«, sagte Vicky Bonney.
»Ich würde diesen geheimnisumwitterten Grafen auch gern kennenlernen«, sagte Vladek Rodensky schmunzelnd.
»Hörst du's, Papa. Der Wunsch unserer Gäste sollte dir Befehl sein«, sagte Angela.
»Na schön, dann rufe ich Moravia gleich mal an.«
Der Verleger legte seine weiße Stoffserviette auf den Tisch, entschuldigte sich, erhob und entfernte sich. Angela erzählte inzwischen mehr von dem mysteriösen Star der Nacht. Bleich geschminkt wäre er, und am Tag bekäme ihn niemand zu sehen.
»Der Graf liefert die perfekte Show«, sagte Angela Giordo. »Er gibt sich den Medien gegenüber unnahbar, gewährt keine Interviews und hängt auch über sein Privatleben ein geheimnisvolles Mäntelchen.«
»Dadurch erreicht er, daß sich noch mehr Menschen für ihn interessieren«, sagte Vladek Rodensky. »Der Mann scheint sehr clever und äußerst geschäftstüchtig zu sein.«
»Das ist Ennio Moravia auch«, sagte Angela.
»Klar, deshalb haben sich die beiden ja zusammengetan.«
Der Verleger kehrte zurück. Er setzte sich.
»Nun?« fragte Angela gespannt. »Werden wir die Vorführung sehen?«
»Es war sehr schwierig, so knapp noch vier Plätze zu bekommen.«
»Aber du hast es geschafft«, sagte Angela.
»Moravia läßt für uns noch einen Tisch aufstellen«, sagte der Verleger.
Seine Tochter umarmte und küßte ihn ungestüm. »Angela!« rügte ihr Vater sie. »Willst du dich wohl benehmen?«
Vicky Bonney betupfte ihre Lippen mit der Serviette. Sie war zum Platzen voll. Jeden Abend durfte sie nicht so viel essen, sonst paßten ihr bald ihre Kleider nicht mehr. Das allein wäre nicht so tragisch gewesen. Schlimmer wäre es gewesen, wenn sie Tony Ballard nicht mehr gefallen hätte.
Sie legte die Serviette weg und war neugierig auf den geheimnisvollen Grafen Cassandrini.
***
»Ricarda!« Lando Volonte preßte es heiser hervor.
»Du bist betrunken, Lando«, sagte das rothaarige Mädchen.
»Ja, aber nicht mehr so sehr. Es geht mir schon wieder viel besser, und ich kann dir nicht sagen, wie froh ich bin, dich zu sehen.«
»Wieso bist du nicht in der Pizzeria?«
»Das fragst du noch? Ricarda, ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Wenn du über Nacht fortgeblieben bist, hast du am nächsten Morgen wenigstens angerufen, damit ich Bescheid wußte, wo
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