061 - Der Blutgraf
erwischt?«
»Leider nein.« Ich erzählte ihr, was Noel Bannister und ich erreicht hatten.
»Und was hast du nun vor?« wollte meine Freundin wissen.
»Erst mal ausspannen, neue Kräfte sammeln. Es hat sich viel getan in letzter Zeit. Manchmal überstürzten sich die Ereignisse geradezu.«
»Wie wär's, wenn du nach Rom kommen würdest? Vladek ist auch hier. Er würde sich freuen, dich wiederzusehen. Du kämst auf andere Gedanken. Wir wären zusammen. Massimo Giordo, mein italienischer Verleger, und seine Tochter Angela sind überaus nette Leute. Wir haben vor, uns heute die Mitternachtsmodenschau Ennio Moravias anzusehen…«
Ich lachte. »Da bleiben mit Sicherheit einige Modelle hängen.«
»Mal sehen. Wenn mir etwas gefällt, werde ich es kaufen. Geld ist schließlich dazu da, daß es ausgegeben wird. Der Star der Nacht soll ein bleicher, geheimnisumwitterter Graf sein, der das Tageslicht scheut, als wäre er ein Vampir. Die meisten Leute sehen sich die Vorführung nur seinetwegen an. Kein anderer soll so effektvoll über den Laufsteig schreiten.«
»Dann paß mal auf, daß der mysteriöse Graf dich nicht zum Blutspenden auffordert«, erwiderte ich amüsiert.
»Kommst du morgen nach Rom, Tony?«
»Würde ich dir damit eine Freude machen?«
»Eine sehr große sogar.«
»Dann bleibt mir ja gar nichts anderes übrig, als in die Ewige Stadt zu jetten. Ich bringe Mr. Silver mit, und dann lassen wir ein schönes kleines Familienfest steigen.«
»Herrlich.«
»Viel Vergnügen bei der Mitternachtsshow.«
»Schönen Dank. Liebst du mich noch?«
»Ich glaube ja.«
»Scheusal«, sagte Vicky und legte auf.
Ich wies auf den Apparat und sagte zu Mr. Silver: »Hast du gehört? Du fliegst mit mir morgen nach Rom.«
»Angenommen, ich will nicht.«
»Dann wirst du von mir verschnürt und als Paket rübergeschickt. Aber ich warne dich. Im Frachtraum eines Flugzeugs soll's sehr ungemütlich sein. Da geht's nicht ohne Dellen ab.«
***
Wut, Panik, Entsetzen, Trauer, Verzweiflung - das und noch viel mehr stürmte auf Lando Volonte ein, als er erkannte, daß Conte Cassandrini, dieser bleiche Satan, seine Schwester zum Vampir gemacht hatte.
»Ricarda«, sagte er zutiefst erschüttert. »Meine geliebte Schwester! Was hat dir dieses Ungeheuer angetan?«
»Es war nicht so schrecklich, wie du denkst, Lando.«
»Aber du bist tot.«
»Es war ein süßer Tod. Ich war dumm, mich so sehr davor zu fürchten. Meine Angst war unbegründet. Als Marco mich küßte, schwanden mir beinahe die Sinne. Ich verlor mich in ihm, ging in ihm auf, spürte, wie ich zu einem anderen Wesen wurde. Ich wußte, daß ich starb, daß mein Blut auf den Vampir überging, aber es machte mir nichts aus, denn ich fühlte gleichzeitig eine andere Kraft auf mich überströmen. Eine Kraft, die mir ewiges Leben garantiert. Ich werde nicht altern, werde immer so aussehen wie heute. Ich werde noch in hundert Jahren leben, und ich möchte, daß du dann auch noch bei mir bist. Laß dich umarmen, Bruder.«
»Nein!« Er schüttelte verstört den Kopf. Schlagartig wurde er völlig nüchtern. Mit hölzernen Schritten wich er zurück. »Nein, Ricarda.«
»Wehr dich nicht, Lando. Ich werde dich sehr sanft küssen, du wirst es genießen. Hab keine Angst. Ich verhelfe dir zu einem anderen, besseren Leben. Wir müssen zusammenbleiben, Lando.«
»Das ist nicht mehr möglich. Ich habe dich verloren. Cassandrini muß das büßen.«
»Ich lasse nicht zu, daß du ihm etwas antust. Conte Cassandrini ist mein Meister. Ich gehöre ihm, und ich gehorche ihm. Du mußt so werden wie ich, Lando. Der Meister will es!«
Der junge Mann blickte sich gehetzt um. Wenn Ricarda sich auf ihn stürzte, wußte er nicht, wie er sie abwehren sollte. Sie war jetzt eine gefährliche Blutsaugerin. Es wäre ein Fehler gewesen, in ihr noch einen Menschen zu sehen. Das war sie nicht mehr. Seit der Vampirkeim in ihr aufgegangen war, war sie ein Schattenwesen, von dem sich alle Menschen in acht nehmen mußten, das man töten mußte.
Ja, töten! Vernichten! Unschädlich machen!
Denn ihr Bluthunger würde sie Nacht für Nacht aus ihrem Versteck treiben und zwingen, Jagd auf Menschen zu machen, Männer, Frauen, Kinder, Greise - ihr war es egal, wer ihre Opfer waren. Sie war nur an einem interessiert: an Blut.
Und daran, den Keim des Bösen weiterzugeben!
Jetzt breitete sie die Arme aus; Ihre Augen hatten einen widerwärtigen gierigen Glanz.
Für Lando Volonte war es erschütternd und
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