061 - Der Blutgraf
dann geht es wieder.
Aber Ricarda gewährte sie ihm nicht. Er bemerkte sie nicht, als sie sich an ihn heranpirschte. Er glaubte, allein auf der Brücke zu sein, doch plötzlich fiel sie über ihn her, und sie war immer noch stark.
Diesmal schaffte er es nicht mehr, sie abzuwehren. Er schrie um Hilfe, doch niemand hörte ihn.
Sehr schnell erlahmte sein Widerstand, und das verzerrte Gesicht der Vampirin kam seinem Hals immer näher. Schon spürte er Ricardas Zähne an seiner Halsschlagader, und dann war ihm, als würden zwei spitze Nadeln eindringen.
Wieder schrie er seine furchtbare Verzweiflung heraus. Gleichzeitig warf er sich zurück. Die Vampirin klammerte sich an ihn, und so stürzten sie beide von der Brücke in den Fluß.
Klatschend tauchten die beiden Körper in den Tiber.
Fließendes Wasser!
Es war tödlich für Ricarda.
Lando Volonte spürte, wie sie zuckte. Er wollte sich von ihr lösen, doch selbst im Tod, der sie jäh ereilte, klammerte sie sich weiter an ihn, und er war zu schwach, um mit der Toten an die Wasseroberfläche zu gelangen.
So wurde Lando Volonte zwar kein Opfer eines Blutsaugers, und doch verlor er in dieser grauenvollen Nacht das Leben, indem er ertrank. Der Fluß trug sie beide fort, den jungen Mann und das Mädchen.
Irgendwann und irgendwo würden ihre Körper angeschwemmt werden, und niemand würde wissen, daß Ricarda Volonte eine Vampirin gewesen war, denn das fließende Wasser hatte sie erlöst. Der böse Fluch war nicht mehr in ihr…
***
Vicky Bonney hätte es nicht für möglich gehalten, daß zu dieser späten Stunde noch so viele Menschen auf den Beinen waren.
Nach dem Abendessen war sie in ihr Hotel zurückgekehrt, wo Tony Ballard sie erreicht hatte. Sie hatte reichlich Zeit gehabt, sich für die Mitternachtsmodenschau umzuziehen und zu schminken, und um halb zwölf stieg sie mit Vladek Rodensky in den Wagen des Verlegers.
»Sie werden von Ennio Moravias Kreationen begeistert sein«, prophezeite Angela Giordo. »Er ist nicht so verrückt wie viele andere Meister der Haute Couture. Seine Modelle sind tragbar, haben dennoch Schick und einen unverwechselbaren Stil. Ich hoffe, Sie haben Ihr Scheckheft dabei. Es könnte sehr leicht sein, daß Sie es brauchen, Miß Bonney.«
Vladek sagte: »Wenn du deines vergessen hast, kannst du gern über meines verfügen.«
Massimo Giordo trug einen weinroten Smoking. Vladek Rodensky schwarze Hosen und ein weißes Smokingjackett. Sie waren alle sehr festlich gekleidet. Das Kleid, das Angela trug, gefiel Vicky sehr gut. Es hatte verspielte Rüschen um den Hals und an den Ärmeln - und es war ein Modell von Ennio Moravia.
Vicky Bonney war auf den Modeschöpfer genauso neugierig wie auf den geheimnisvollen Conte Cassandrini.
Das alte Kastell aus braunen, teilweise mit Moos bewachsenen Steinen war ein einmaliger, malerischer Rahmen, wie er attraktiver nicht hätte sein können.
Prickelnde Spannung lag in der Luft. Vicky Bonney überlegte, wie sie die Atmosphäre beschrieben hätte, wenn sie sie zu Papier bringen wollte. Es wäre nicht einfach gewesen, denn es gab so vieles Ungreifbares, Unbegreifliches und Unbeschreibliches, das in seiner Gesamtheit eine Atmosphäre ausmachte, wie sie die Schriftstellerin noch nie erlebt hatte.
Die Gäste saßen an kleinen runden Tischen, auf denen gelbe Windlichter standen. Verborgene Scheinwerfer illuminierten die mittelalterliche Kulisse, hoben die Mauern des Gebäudes auf eine unwirkliche Weise aus der Dunkelheit.
Leise Musik schien in der Luft zu entstehen und senkte sich unaufdringlich auf die Gäste herab.
Vor einem im Dunkeln liegenden Säulengang befand sich ein etwas erhöhter Laufsteg, und dorthin führte ein livrierter Mann Massimo Giordo und seine Gäste.
Auf dem Tisch standen Gläser. Ein Kellner brachte zwei Karaffen, eine mit Weißwein und eine mit Rotwein. Das war im Eintrittspreis inbegriffen.
Der Verleger übernahm die Rolle des Gastgebers und füllte die Gläser, und wenig später begann die Mitternachtsmodenschau.
Effektvoll schlug eine nahe Turmuhr zwölfmal, und sobald der letzte Schlag verhallt war, erschien Ennio Moravia, um seine Gäste persönlich zu begrüßen.
Er sah aus wie ein schillernder Paradiesvogel, war extravagant gekleidet, wie man es von einem Modeschöpfer erwartete, und bewegte sich stolz wie ein Pfau.
»Der Mann weiß sich zu verkaufen«, sagte Vladek Rodensky beeindruckt.
»Seine Show läuft nach einem raffinierten dramaturgischen Konzept ab«,
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