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061 - Der Fuerst der Finsternis

061 - Der Fuerst der Finsternis

Titel: 061 - Der Fuerst der Finsternis
Autoren: Brian Ball
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Sonne zum Fenster herein. Jerry erwachte durch das leise Geräusch der Rollen, die in der Vorhangschiene liefen. Er richtete sich bolzengerade auf, noch ganz benommen vom Grauen seiner Träume.
    „Es ist vorüber“, jubelte Bill. „Der Sturm hat sich gelegt und die Sonne ist wieder da. Wir werden noch heute abhauen können.“
    „Gott sei Dank“, sagte Jerry. „Was Schöneres kann ich mir im Augenblick gar nicht vorstellen.“
    Bill pfiff fröhlich vor sich hin, als er Wasser in die Waschschüssel goß. „Zwei bis drei Stunden wird es schon noch dauern, bis der Schneepflug von Hagthorpe hier ist. Allerdings kann ich nicht sagen, wie lange es dauern wird, bis die Straße wieder in Ordnung gebracht ist. Aber aus dem Haus sind wir immerhin.“
    Jerry konnte noch gar nicht fassen, daß alle seine häßlichen Träume, die ihn gequält hatten, seit er in diesem Haus war, nun bald vorüber sein würden. Keine unheimlichen Mächte mehr, keine Brenda, keine Keller und unterirdischen Höhlen, nur mehr die Kameradschaft all der Freunde, die mit ihm in den alten, viktorianischen Gebäuden rund um die Universität wohnten, wo er so glücklich mit Debbie gewesen war. Und vielleicht war sie schon da, wenn er heimkam.
    „Heute morgen sind Sie aber nicht sehr gesprächig“, meinte Bill.
    „Ich bin noch immer ein bißchen müde.“
    „Schlecht geschlafen?“
    „Ja.“
    „Spukt noch immer der Keller in Ihrem Kopf herum. Komische Sache, das. Ist wohl wirklich das beste, die Angelegenheit der Polizei zu überlassen, wenn er noch da unten ist.“
    „Ja.“
    Bill kam näher heran und sah Jerry prüfend an. „Sie sehen heute aber gar nicht besonders aus.“
    „Oh, mir geht es gut.“ Jerry überlegte, ob er Bill etwas über die Geschehnisse dieser Nacht erzählen sollte. Wie ihn das Gefühl, eine böse Macht beherrsche das Haus, aus dem Schlaf geweckt hatte, und wie die Mädchen wie die reinsten Alpträume herumgehüpft waren? Aber was konnte er eigentlich erzählen? Daß sie gesprochen hatten – natürlich sprechen Menschen. Daß sie gelacht hatten? Welcher Teenager tut das nicht. Daß sie nackt ums Feuer gestanden hatten. Sie hatten sich eben ihre Brüstchen und Hinterteile gewärmt. Debbie tat das auch. Oder sollte er sagen, Raybould sei auch dagewesen und er hätte ebenfalls gesehen, wie die Figuren aus dem Kohlenbehälter herausgetreten seien und mit den Mädchen ein monströses Gewebe aus Fremdem gewebt hätten? Bill würde ihn auslachen. Raybould war ein notorischer Voyeur. Und Muster im Licht des Kaminfeuers? Das Flackern der Flammen warf oft die wunderlichsten Bilder an die Wände, das war nichts Neues. Also was hatte er eigentlich gesehen? Was war es eigentlich, was sich ihm in dieser Nacht dargeboten hatte? Die Mädchen waren ganz einfach robuste, normale Mittelklassegören, die sich im Dunkeln schlüpfrige Geschichten erzählten. Und Brenda? Er konnte förmlich hören, wie Bill Ainsley sagen würde: Eine Kuh.
    „Eine Kuh“, sagte Jerry laut.
    „Wer?“ fragte Bill überrascht.
    „Ach, ich dachte nur an Brenda.“
    „Ja. Am besten, man kümmert sich gar nicht um sie.“
    Jerry fragte sich, ob Bill wohl ebenfalls bemerkt hatte, wie sehr sich Brenda veränderte, welch merkwürdige Fremdartigkeit von ihr ausging. Ein Blick genügte, um Jerry zu zeigen, daß er aus Bill kein einziges Wort herausbringen würde. Also beschloß Jerry, über die vergangene Nacht zu schweigen. Er stand auf, sorgfältig darauf bedacht, den Knöchel nicht zu belasten, und versuchte sich einzureden, daß er wohl wieder einmal ein Narr gewesen war. Diese Eigenschaft schien schön langsam zur Gewohnheit zu werden. Er war ein Narr gewesen, auf das Toller Erdge zu klettern, ein Narr, weil er nicht imstande gewesen war, Debbies seelische Not zu erkennen, ein Narr, mitten in der Nacht durch das Schloßcafe zu wandern.
    Das Frühstück, das Mrs. Raybould bot, war kümmerlich. Der Speck war zu Ende gegangen. Nun gab es nur mehr zähes Brot und braunes Schlabberwasser aus der Kaffeemaschine. Sam war hinter der Maschine aufgetaucht, als hätte er diesen Platz seit Mitternacht nicht mehr verlassen. Die Mädchen bedankten sich wohlerzogen bei ihm, als er ihnen das jämmerliche Gebräu vorsetzte. Sogar Brenda schenkte ihm ein Lächeln. An diesem Morgen war es Julie, die am Kamin saß und die Finger über die rätselhaften Figuren auf dem Messingbehälter gleiten ließ.
    Die Mädchen begannen, sich über ihre vermißte Lehrerin zu unterhalten.
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