061 - Im Reich der Tausend
musste!
Zwar half ihm das auch nicht weiter, aber wenn er zum Schein darauf einging, bot sich vielleicht die Möglichkeit, sich draußen ein bisschen umzusehen.
»Einverstanden«, sagte er. »Aber nicht hier drin; hier ist es zu stickig. Gehen wir doch an die frische Luft!«
Seine Bewacherin überlegte kurz, dann nickte sie. Offenbar ging sie davon aus, dass Aiko kooperieren würde, wenn man ihm den kleinen Gefallen tat.
Doch genau in dem Moment, als sie an die Tür trat und nach der Wache rufen wollte, brüllte eine Stimme draußen auf dem Gang Befehle. Sekunden später wurde ein Schlüssel ins Schloss geschoben und gedreht.
Ein asiatisch aussehender Offizier erschien im Türrahmen. Aikos Bewacherin blickte ihn mit einer Mischung aus Erstaunen und Ärger an. »Tom! Du kommst sehr ungelegen. Ich wollte gerade mit unserem Gast hinaus in den Hof, um ein wenig zu plaudern.«
Wie sie das letzte Wort betonte, gab es keinen Zweifel, dass der Offizier seine Bedeutung verstand. Trotzdem blieb er in der Tür stehen. »Tut mir Leid, aber unsere Pläne haben sich geändert.« Er blickte Aiko an. »Du kommst mit. Wir haben eine Überraschung für dich.«
Aiko war sich nicht ganz sicher, ob er diese Art von Überraschungen wirklich schätzte…
***
Seit Commander Drax auf den nordamerikanischen Kontinent zurückgekehrt war, hatte er sich mehr als einmal gewünscht, das Schicksal hätte den mutigen Seefahrer und Entdecker Colomb, auf dessen Schiff er hier angekommen war, an die warmen Gestade Brasiliens gespült.
Das Klima auf der nördlichen Halbkugel war aufgrund der Polverschiebung schon reichlich kühl - aber immer noch mollig warm im Vergleich mit Kanada. Die knallroten Zinken, die Nikolaai und seine wackeren Tovarischi zur Schau stellten, waren nur ein Indiz dafür. Ein zweites bis viertes waren Matts eingefrorenen Gesichtszüge, seine klammen Finger und vor Kälte schmerzenden Füße.
Aruula, die mit den eisigen Temperaturen viel besser fertig wurde, geleitete den Trupp durch das inzwischen wieder herrschende Schneegestöber auf verschlungenen Pfaden in die Nähe eines relativ gut erhaltenen Gebäudes. Riesige, ins Gestein der Hausfront geschlagene Buchstaben ließen Matt schon aus der Ferne erkennen, dass es sich um die Stadtbibliothek von Vancouver handelte.
Sie pirschten durch die Hintertür der Ruine, die der Bibliothek schräg gegenüber stand, kämpften sich durch einen mit Schutt angefüllten Hausflur und traten kurz darauf hinter dem schneebedeckten Wrack eines Lieferwagens ins Freie.
Während Aruula und die Späher in die Hocke gingen, lugte Matt um das Wrack herum und warf einen Blick durch den Torbogen, hinter dem drei futuristische, kastenförmige Kettenfahrzeuge aufragten; vermutlich eine Art Panzer..Sie trugen die Hoheitszeichen der Bundesrepublik Deutschland: Adler und Eisernes Kreuz!
Es war also tatsächlich wahr. Aber wie waren diese Typen nach Kanada gekommen?
Waren sie Abgesandte einer Techno-Kultur? Wenn ja, wie hatten sie den Atlantik überquert? Und was machten sie hier?
»Der Vogel dort«, wisperte Stepaan, der ihm gefolgt war, und deutete auf den Bundesadler am Bug des Panzers. »Kennst du ihn?«
Matt nickte. »Es sind Deutsche. Germanskis«, sagte er.
»Germanskis?« Der Gelehrte machte große Augen. »Davon berichten die alten Legenden! Sie fielen einst über ganze Welt her, bevor der Zar sie zwang in die Knie und baute eine Mauer, um sie einzusperren.«
»Gepriesen seien die alten Überlieferungen«, seufzte Matt. Er verzichtete darauf, Stepaan die wahren Ereignisse zu schildern. Vermutlich besagten dieselben Legenden, dass einst Ronald McDonald und Mickey Mouse die Vereinigten Staaten begründet hatten.
Dieses verquere Weltbild zurechtzurücken hätte Wochen gedauert.
»Leben sie wirklich auf anderer Seite der Welt?« Stepaans Augen über dem vereisten Bart glänzten begeistert. »Wo die Luft ist warm und der Schnee grün?«
»Genau«, erwiderte Matt. »Nur dass der Schnee dort 'Gras' heißt und aus dem Boden wächst.« Er dachte an Aiko. Befand sich der Cyborg innerhalb dieser Mauern? Was war in der Zwischenzeit mit ihm geschehen?
»Ich wusste es!«, begeisterte sich der Greis neben ihm »Ich habe es immer gesagt, aber niemand hat geglaubt! Es gibt andere Seite der Welt, wo alles ist grün und warm!«
Er beugte sich zu den Spähern hinüber und flüsterte mit ihnen. Deren Mienen erhellten sich und ihre Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an. Matt hoffte, dass sie
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