061 - Medusas steinerne Mörder
Taschenlampe in ihrer erstarrten Hand.
Medusa musterte die junge Frau besonders aufmerksam. »Es wäre einen Versuch
wert«, murmelte sie im Selbstgespräch vor sich hin. »Der Körper einer Frau… sie
braucht ihn nicht mehr. Aber ich suche einen, in dem ich mich wieder frei und
selbständig bewegen kann. Ich glaube, ich kann meine Pläne schneller zum Erfolg
bringen, als ich für möglich gehalten habe. Ich bin zu Hause… mein neues Leben
kann beginnen.
●
Der
roboterhafte Ainsly trug das Schreckenshaupt der Medusa in das Schloß. Niemand
kam ihnen entgegen. Medusas Augen befanden sich in ständiger Bewegung. In der
Halle, von der aus eine schmale Treppe auf eine Galerie führte, stand ein
riesiges Aquarium. Das war eine Möglichkeit, um zu überleben. Aber es gab auch
noch andere Plätze, die für einen vorübergehenden Aufenthalt geeignet waren,
oder die sie sich durch ihre versteinerten Diener schaffen lassen konnte.
Zuerst aber wollte sie das Schloß von den Kellergewölben bis ins letzte
Turmzimmer kennenlernen, um zu wissen, ob sich noch weitere Menschen in dieser
Einsamkeit aufhielten. Dies war das Schloß, für das sie sich schon lange
interessiert hatte. Aus einem besonderen Grund: Es war Draculas Bruder, dessen
Körper und Geist in diesen Mauern gefangen war. Ein Geschöpf, das sein Leben
den Mächten der Finsternis verschrieben hatte, konnte ihr behilflich sein.
Zwischen denen, die sich von den normalen Menschen unterschieden, bestand stets
eine besondere Verwandtschaft. Während der versteinerte Fred Ainsly ihrem
Befehl zufolge eine steil gewundene Kellertreppe hinunterging, schickte Medusa
gleichzeitig einen hypnotischen Befehl an ihre drei letzten Opfer, die draußen
in der Nebelnacht standen. In die Versteinerten kam ruckartig Bewegung. Wie
Roboter lösten sie sich von den Plätzen, auf die der schreckliche Anblick sie
gebannt hatte. Paul Graf von Bernicz, Josef Hebonay und Edith durchquerten mit
kantigen Bewegungen den Innenhof und betraten als Versteinerte wieder die Halle
des Schlosses. Sie schlugen den gleichen Weg ein, den auch Medusas Haupt mit
dem steinernen Träger ging. Medusas Ziel waren zuerst die Gewölbe. Eine
regelrechte Witterung führte sie, weil sie Sinne besaß, über die all jene
verfügten, die mit den unheiligen Kräften der Magie und des Bösen in direktem
Zusammenhang standen. In den Gewölben waren Kabel verlegt. Sie waren unterhalb
der Decke befestigt, und alle zwanzig Schritte gab es eine Stelle, an der eine
primitive Lampe angeschlossen war. Gelbliches Licht spendete schwachen Schein,
der die Schatten aus den Nischen und Vorsprüngen des groben Mauerwerkes kaum
vertrieb. Die Gewölbe waren niedrig. Unzählige gab es hier unten. Im vordersten
blieben die drei versteinerten Opfer aus dem Schloß stehen. Hierher hatte
Medusas hypnotischer Befehl sie gerufen. In dem fensterlosen Gewölbe erstarben
ihre Bewegungen, und es schien, als hätte die Unheimliche damit begonnen, einen
Ort für ihre neue Sammlung Versteinerter zu schaffen. Wie in den Hunderten von
Jahren davor, in denen durch Medusa Schrecken und Leid über die Welt gekommen war,
entstand auch hier ein Domizil des Grauens. Stets hatte sie im Verborgenen
gelebt und gewirkt. Das hatte sie auch diesmal wieder vor. Doch etwas war
anders als sonst. Ihre Ausgangsposition verlangte von ihr eine besondere
Aktivität. Sie suchte einen neuen Körper. Ihn zu finden würde durch ihre Helfer
kein Problem sein. Da konnte sie allein einiges tun, aber für den Rest
benötigte sie eine Hilfe. Die Hilfe – Draculas! Des Bruders von Dracula,
der dem Berühmt-Berüchtigten um einiges überlegen war. Aber das wußten nur
wenige. Die Experimente, mit denen er sich einst befaßt hatte, waren am ehesten
vergleichbar mit denen des Baron Viktor von Frankenstein. Draculas Bruder hatte
sein Leben ganz in Satans Dienst gestellt, um Tag und Nacht leben zu können. Er
war sowohl Tageslicht- als auch Nachtvampir. Das erstere hatte er dadurch
erreicht, daß er sich einer Macht verschrieb, die Kräfte im Diesseits wie im
Jenseits freimachen konnte. Draculas Bruder war wie Frankenstein ein besessener
Chirurg. Und er war hinter geweihten Steinen gefangen wie ein Geist in der
Flasche. Seine Sehnsucht nach Leben und Freiheit war nie erloschen – erlosch im
Geist eines Vampirs grundsätzlich nie. Daraus wollte Medusa Kapital schlagen.
Mit traumwandlerischer Sicherheit lenkte sie ihren Sklaven in das hinterste
Gewölbe. Hier fühlte sie die
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