061 - Medusas steinerne Mörder
Schloß haust, von dem ihr bis zu dieser Minute nichts gewußt
habt.«
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Paul
von Bernicz Augen verengten sich. »Ich seh sie mir an«, flüsterte er. »Zu Edith
drinnen, kein Wort! Versprich mir das! Sie darf von alledem nichts
wissen.«
»Halte
ich für falsch. Einer Gefahr, die man kennt, kann man begegnen.«
»Okay,
dann werde ich sie darauf aufmerksam machen. Mit meinen Worten. Ich
komme sofort mit dir. Wo ist Luise jetzt?«
»Im
Kaminzimmer. Sie liest.«
Da
war das Klopfen wieder zu hören. Es hallte durch die Nacht und den nebligen
Innenhof.
Der
Graf lief in die Bibliothek, die gleichzeitig sein Arbeitszimmer war, zurück.
Edith stand bereits lauschend am Fenster und starrte in die Nacht. Da
trat es zum dritten Mal auf, dumpf und hart.
Jemand stand draußen vor der eisenbeschlagenen Bohlentür und begehrte Einlaß.
»Wir
sehen nach«, bestimmte von Bernicz. Er lief als erster über die steile
Wendeltreppe nach unten, durchquerte lange Korridore und kam in eine
Halle, die mit alten Bildern und Waffen geschmückt war. An der Wand hing ein
Gewehr, ein alter Vorderlader. Die Waffe war geladen und funktionierte noch.
Von Bernicz löste sie vom Haken und lief mit dem Gewehr in den Hof. Seine
heimliche Geliebte und Josef Hebonay blieben ihm auf den Fersen. Kalt und
windig war die Nacht. Pfeifend fuhr der Wind durch die Mauerritzen, schlug
ihnen ins Gesicht und zerfetzte die gespenstischen Nebelschleier. Wieder das
Klopfen. Wer konnte so spät zum Schloß kommen?
Besucher
und Gäste hatten sich nicht angemeldet, und es war unwahrscheinlich, daß jemand
aus dem Dorf den Weg hierher fand. Es sei denn, er benötigte Hilfe und sah
keinen anderen Ausweg mehr. Edith hatte geistesgegenwärtig eine Taschenlampe
mitgenommen. Der breitgefächerte, bleiche Schein wanderte über den rauhen,
holprigen Boden, der aus Pflastersteinen und in die Erde eingelassenen
Felsbrocken bestand. Graf von Bernicz erreichte die Tür.
»Ja?
Hallo?« rief er durch die Nacht. »Ist da jemand?« Er öffnete nicht sofort. Zwar
konnte er sich eine unmittelbare Gefahr, gleich wie immer sie auch geartet war,
für sich und seine Begleiter nicht vorstellen. Doch die Vorsicht und gesundes
Mißtrauen hatten noch nie geschadet. Es gab genügend Leute, die wußten, daß er
hier oben wohnte. Auch in einem Land wie diesem gab es Überfälle und Einbrüche,
und er besaß einige Kunstgegenstände, Schmuck und auch Geld, das alles einen
Reiz auf gewisse Leute ausüben konnte. »Hilfe!« rief eine kläglich
klingende Stimme von der Außenseite des Tores und der Wind trug den verwehenden
Ruf in die Nacht und den Nebel. »Helft… mir…«
» Das
ist eine Frau!« entfuhr es von Bernicz. Sofort waren alle Gedanken, die ihm
eben noch durch den Kopf gegangen waren, vergessen. Paul von Bernicz zog den
schweren Riegel zurück und hob dann den Querbalken, der als zusätzliche
Sicherung davorlag, auf die Seite. Er zog die schwere Tür auf, und ließ das
Grauen herein. Zum Schreien kam Paul von Bernicz nicht mehr. Er sah das
Schreckenshaupt in den steinernen Händen zuerst. Der Schrei blieb ihm in der
Kehle, als er selbst zu Stein wurde. Dann trat der roboterhafte, vom Willen und
der Hypnose des unheimlichen Medusen-Hauptes gelenkte Fred Ainsly einen Schritt
vor und setzte seinen Fuß in den Hof. Der Lichtstrahl aus der Taschenlampe, die
die Studentin hielt, traf voll den Schlangenkopf. Edith schrie gellend auf und
wollte sich noch abwenden, als die unheimliche Kraft auch ihr Blut erstarren
und ihren Körper zu Stein werden ließ. Josef Hebonay konnte sich gerade noch
herumwerfen und einen Schritt zur Seite tun. Damit hatte es sich auch schon. In
der Drehbewegung erreichte ihn die Versteinerung, und innerhalb von drei
Sekunden war die grausame Verwandlung dreier Menschen in steinerne Statuen über
die Bühne gegangen. Keiner war dem Anblick des schrecklichen Medusenhauptes,
das auch ohne eigenen Körper auf rätselhafte Weise weiterlebte, entronnen.
»Schließ die Tür!« befahl der Medusen-Kopf dem versteinerten Ainsly, und der
gehorchte. Er stieß mit dem Fuß die Bohlentür ins Schloß und zog den Riegel
vor. Medusa ließ ihren Blick über ihre neuen Opfer gleiten und starrte dann in
den Innenhof, zu der Tür, die in die Halle führte. Von dort sickerte schwacher
Lichtschein in die Nacht. Das Gewehr, das Paul von Bernicz von der Wand
genommen hatte, lag noch in seiner Hand, ohne daß sich ein Schuß gelöst hatte.
Auch die Studentin Edith hielt die
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