0610 - Die Macht der Schlange
bedrohlichen Alptraum beschert hatte, war zumindest fort.
Aber warum fühlte sie sich trotzdem nicht erleichtert?
***
In einem Traum sah Franco, wie sich seine Freundin Dany über ihm aufrichtete.
Ihr Haar leuchtete geradezu in unwirklicher, roter Pracht.
Blutrot!
Und sie trug einen weißen Mini-Slip, der von einem silbernen Teufelskopf verziert wurde.
Das konnte nicht Dany sein. Dany war dunkelhaarig und verabscheute Perücken oder Färbungen. Und sie würde sich auch niemals mit einem solchen Teufelskopf schmücken, der Francos Sammlung hätte entstammen können. Aber es war ihr Gesicht, es war ihr Körper. Sie reckte sich über Franco empor, hielt einen Zeremoniendolch in der erhobenen Hand. Hinter ihr der Schädel und die Drachenschlange, aber sehr viel größer als in Wirklichkeit. Der Schädel allein war drei- oder viermal so groß wie Danys Kopf.
Der Dolch stieß herunter, durchbohrte Francos Herz, zuckte wieder hoch…
Und auf geheimnisvolle Weise sammelte sich Francos Blut in der Schädelschale, und der Kopf der Drachenschlange senkte sich, um das Blut aus dem Schädel zu trinken.
Dany lachte triumphierend.
Franco tastete nach seiner Brust und nahm sein Herz heraus, das von Danys Opferdolch durchbohrt worden war.
In seiner Hand verwandelte es sich in eine Schlange und kroch davon, aber diese Schlange glich nicht der Figur neben dem großen Schädel. Sie schimmerte völlig unwirklich, in einem fremden, metallischen Glanz…
Auch Franco verwandelte sich in eine Schlange, und das letzte, was er von Dany sah, ehe er auf Beutezug ging, war ihre gespaltene Zunge, die aus dem Mund hervorglitt.
Franco versuchte aus dem Traum zu erwachen, aber lange Zeit gelang es ihm nicht.
***
Cora Brannigan schlief nicht gut in dieser Nacht. Nicht des toten Martinez wegen, und auch nicht, weil sie tatsächlich vorhatte, ihr Zimmer so schnell wie möglich aufzugeben, weil sie sich von der Vermieterin keine weiteren Beleidigungen mehr gefallen lassen wollte.
Es war etwas anderes. Es waren die Träume.
Schließlich erhob sie sich und verließ ihr Zimmer. Eine Tür weiter drückte sie die Klinke nieder - vergeblich. Die Tür war abgeschlossen. Natürlich, der Student, von dem sie nicht einmal den Namen wußte - hieß er John oder Steven oder William? - wollte nicht gestört werden.
Aber er hatte das Geräusch gehört, als sie die Türklinke niedergedrückt hatte. Cora stand noch vor der Tür und war unschlüssig, ob sie anklopfen sollte, da schloß er auf.
Er war in seine Jeans geschlüpft und stand nun im Halblicht seiner Nachttischbeleuchtung vor der jungen Frau.
»Was - Sie bluten ja! Was ist denn passiert?« stieß er hervor.
»Kommen Sie herein, ich helfe Ihnen.«
»Ich blute?« murmelte Cora überrascht. Dann sah sie die Wunde am linken Unterarm. »Ja, tatsächlich.«
Aber die Wunde selbst hatte sich bereits wieder geschlossen.
Nur das Blut klebte noch auf der Haut und verkrustete langsam. Der junge Mann fand einen Lappen in einem Schrankfach und zog Cora mit sich über den Flur zum Gemeinschaftsbad, das von allen Mietern genutzt wurde, denn die alte Schreckschraube, der das Haus gehörte, vermietete ausschließlich möblierte Zimmer.
So gab es jeden Morgen Diskussionen und Streit, wer wann wie lange das Bad besetzen durfte, und bei der Nutzung der Gemeinschaftsküche war es nicht anders. Der Student reinigte die Wunde sorgfältig und nahm Cora dann wieder mit in sein Zimmer. Dort suchte er nach Desinfektionsmitteln und Verbandszeug. Der junge Mann erschien Cora sehr unruhig.
Daß seine Unruhe daran lag, daß Cora nur das kurze, halbdurchsichtige Nachthemdchen trug, in dem sie geschlafen hatte, das ahnte sie nicht. Er verarztete sie, dann fragte er schluckend: »Kann - kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
»Ich kann nicht einschlafen«, gestand sie.
Er überlegte. »Man kann es auch nicht erzwingen«, sagte er heiser. »Ich - ich habe noch irgendwo eine halbe Flasche Wein stehen. Wenn Sie - wenn Sie noch etwas bleiben und plaudern möchten?«
Sie lächelte.
»Plaudern ist es eigentlich nicht, was ich möchte«, sagte sie und näherte sich ihm.
»Was - was meinen Sie dann?« fragte er stockend.
Unter anderen Umständen hätte seine Schüchternheit sie amüsiert. Sie lächelte. »Ich möchte…«
Und tat es.
***
Die Eigentümerin des Hauses, die auch die möblierten Zimmer vermietete, litt nicht nur unter Schlaflosigkeit, sondern auch unter krankhafter Neugier.
So kam es, daß sie um diese
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