0610 - Totenfee der Templer
nie davon gehört, daß englische Polizisten keine Waffen tragen?«
Raiser starrte mich an, öffnete den Mund, sagte aber nichts. »Tatsächlich?«
»Ja, es entstammt einer alten Tradition.«
»Dann bist du gekommen und wolltest die Öko-Tante ohne Kanone beschützen?«
»Wenn es nötig gewesen wäre, hätte ich mir eine Schußwaffe besorgt.«
»Aber es war nicht nötig, wie?«
Ich hob die Schultern.
Raiser ärgerte sich. Über sein Gesicht lief eine leichte Röte. Hinter mir hielt sich Fisher nach wie vor mit schußbereiter Waffe auf. Es war relativ still geworden. Nur das Geräusch der beiden gelegentlich zusammenstoßenden Bootskörper war hin und wieder zu hören sowie das Schreien der über uns fliegenden Seevögel.
Jeb Raiser hatte sich zu einem Entschluß durchgerungen. Er deutete dies mit einem Nicken an und gab damit Starky einen Befehl, bevor er ihn präzisierte.
»Sie gehört dir!«
Starky hechelte. Ich sah Kate bleich werden, wollte herum, doch Fisher klopfte mir den Gewehrlauf auf den Hinterkopf, so daß Sterne aufplatzten und ich leicht in die Knie ging.
Kates Schrei riß mich wieder hoch.
Ich blickte nach rechts und sah, daß dieser verfluchte Starky zugegriffen hatte.
Kate Tanner hing in seinem Griff. Den linken Arm hatte er um ihren Oberkörper geschlungen, in der rechten hielt er das Messer, und dessen verdammte Klinge befand sich nicht allzu weit von der Kehle der jungen Frau entfernt.
Raiser sprach. »Wenn sie sich rührt oder du durchdrehst, Sinclair, schneidet Starky von rechts nach links. Du weißt, was es für deine kleine Freundin bedeutet, Bulle?«
»Alles klar.«
Raiser lächelte böse. »Ich freue mich, daß wir uns verstehen. Du hast erklärt, daß du gekommen bist, um sie zu schützen. Du hast den Gelben mitgebracht, der ist nicht mehr da. Ich will jetzt genau von dir wissen, wo sich die Ratte verkrochen hat.«
»Hören Sie, er ist nicht auf dem Schiff.«
»Wo, Sinclair?« fuhr er mich an. In seinem Blick loderte der blanke Haß.
»Sag es ihm, John, sag es ihm!« Ich hörte Kate Tanner wimmern.
»Das Messer ist…«
»Raiser, sagen Sie diesem Hechler, daß er die Frau loslassen soll. Dann rede ich.«
Der Elegante schüttelte den Kopf. »Du wirst auch so reden, Bulle, ganz gewiß. Ich habe die Karten gemischt und verteilt. Dieses Spiel läuft nach meinen Regeln ab. Klar?«
Es war klar. So klar wie die Schmerzen in meinem Kopf, die die Nachwirkungen des Schlags hinterlassen hatten. Ich schielte zu Kate Tanner hin. Starky war kleiner als sie. Bei den Schwankungen des Bootes konnte es durchaus vorkommen, daß seine Messerhand abrutschte und die scharfe Klinge Kates Leben ein Ende setzte. Das wollte ich nicht riskieren.
»Bulle, ich warte nicht mehr länger!«
»Okay, Raiser, Sie haben gewonnen. Mein Partner und Freund befindet sich tatsächlich nicht an Deck. Schauen Sie sich um, dann sehen Sie die Taucherausrüstungen. Er ist unter Wasser, er tauchte, und er wird auch noch im Wasser bleiben. Genug Preßluft ist vorhanden.«
»Schön, Bulle«, sagte Reiser. »Jetzt will ich nur wissen, wie lange er unten bleibt?«
»Keine Ahnung.«
»Starky!« Er sagte nur ein Wort, und der Hechler reagierte. Ich hörte Kate schreien, schaute hin und sah die Klinge an ihrem Hals, die jetzt die Haut berührte.
Dieses Gefühl, wenn kalter Stahl gegen die Haut gepreßt wird, kenne ich auch. Es ist schlimm, man hat immer den Eindruck, daß es im nächsten Augenblick passieren muß.
»Ich weiß es wirklich nicht, verdammt!« fuhr ich Raiser an. »Mein Partner ist getaucht und bisher nicht wieder erschienen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Jeb Raiser nickte, bevor er zu Boden schaute, als wollte er auf den Planken etwas suchen. Dann setzte er sich mit schlenkernden und lässig wirkenden Schritten in Bewegung, maß vor mir einen Kreis ab, schüttelte hin und wieder den Kopf, bewegte auch seinen Mund, aber nicht ein Wort drang über seine Lippen.
Urplötzlich blieb er stehen und schaute mich an. »Etwas gefällt mir daran nicht, Bulle!«
»Was?«
»An deiner Erklärung.« Er wippte vor mir breitbeinig auf den Ballen und schaute mich lauernd an, wobei er die Augen zu Schlitzen verengt hielt. »Wie ich schon sagte, irgend etwas gefällt mir hier überhaupt nicht, Sinclair.«
»Was denn?«
Natürlich hatte er die Antwort längst gewußt. Er hatte nur die große Schau machen wollen und die Zeit hinausgezögert. »Niemand taucht ohne Grund, Bulle. Auch dein Kumpan nicht,
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