0612 - Eine Nacht im Hexenschloß
sie uns an. »Was meinen Sie damit?«
»So wie ich fragte. Wir sahen den Hubschrauber, und es kam uns vor, als säße niemand am Steuerknüppel.«
»Ja, das stimmt.«
»Fliegt er durch eine Fernbedienung?« erkundigte sich Jane.
»Das muß wohl so sein.«
Die Antwort gefiel uns nicht. »Moment mal, so wollen wir das nicht hinnehmen. Sie können offen reden, Madam, wir sind nicht daran interessiert, das Schloß zu kaufen. Was hat es damit auf sich?«
Die Frau beugte sich vor und schaute mir in die Augen. »Mister, dort spukt es.«
»Im Schloß?«
»Ja und auch in seiner Nähe. Sie können darüber lachen, ich tue es nicht.«
»Hängt es auch mit dem führerlosen Hubschrauber zusammen?«
»Auch«, gab sie flüsternd zu. »Die Maschine ist eines Tages einfach abgestürzt.«
»Am Schloß?«
»Ja, aber man hat den Piloten niemals gefunden. Wahrscheinlich ist er ertrunken.«
»Dann klatschte sie in einen See?«
»Nein, in den Wassergraben. Er umrundet das Schloß. Der Bau selbst steht auf einem kleinen Hügel, der mit ihm zusammen aus dem Wasser ragt. Wenn Sie hinfahren, werden Sie es sehen.«
»Gut, Madam, jetzt müssen Sie uns nur sagen, wer dort spukt? Ist es ein Geist?«
»So ungefähr. Eine Frau, eine Hexe. Deshalb wird es auch das Hexenschloß genannt. Der Name stammt noch von unseren Vorfahren. Die wußten besser Bescheid.«
»Hat diese spukende Hexe auch einen Namen?« wollte Jane wissen.
»Sie heißt Orania und ist mannstoll. So erzählt man sich. Sie holt sich die Geliebten, um sie zu töten. Sie geistert durch das Schloß, aber sie ist kein Geist.«
»Was dann?«
Die Wirtin hob ihre Schultern. »Madam, ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich weiß nicht genau, was dahintersteckt. Ich weiß nur, daß ich mich nicht in das Schloß trauen würde. Denken Sie an den Piloten, den es erwischt hat.«
»Und wen noch?«
»Man spricht von vielen Personen«, gab sie flüsternd zur Antwort.
»Sie alle verbrachten eine Nacht im Hexenschloß, und sie alle tauchten nie mehr wieder auf.«
»Das ist schlimm.«
»Man hat sie getötet, Madam. Der Graben ist tief, sehr tief. Orania wird von manchen auch als Wasserhexe bezeichnet, und ich glaube nicht, daß der Historiker es geschafft hat, dem alten Fluch zu entwischen. Nein, das glaube ich nicht.«
Ich hakte sofort nach. »Von welchem Historiker sprechen Sie?«
»Oh, er war ein netter Mensch, ein wirklich netter Mensch. Er wollte das Schloß ausforschen. Leider hat er sich wohl zuviel vorgenommen. Ich habe ihn nicht wieder gesehen, auch nicht seinen Wagen.«
»Wie lange hält er sich schon im Schloß auf?«
»Seit zwei Tagen, Madam.«
»Und da haben Sie Angst um ihn?« fragte Jane lächelnd.
Die Frau trat einen Schritt zurück. Ihre Stirn hatte sich gerötet. Sie stand unter Druck. »Ja, man muß einfach Angst um ihn haben. Es gibt keine andere Möglichkeit. Auch er hat auf gewisse Warnungen nicht gehört. Sein Pech.«
»Noch sind das nur Annahmen.« Ich lächelte und strich ein Teil des Wechselgeldes ein. »Herzlichen Dank für Ihre Warnungen, aber wir werden uns das Schloß trotzdem anschauen.«
Sie bewegte den ausgestreckten Zeigefinger, als wollte sie uns drohen. »Denken Sie daran, daß sich niemand um Sie kümmern wird«, erklärte sie mit dumpfer Stimme. »Keiner traut sich an das Schloß heran. Sie… Sie sind völlig auf sich allein gestellt. Hüten Sie sich vor der Nacht im Hexenschloß. Wo immer Sie auch herkommen mögen, fahren Sie wieder zurück. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Das tat sie wirklich nicht, drehte sich um und ging mit hastigen Schritten davon.
Jane und ich schauten uns an. »Irgendwie bin ich neugierig geworden, John.«
»Frag mich mal.« Ich stand auf und schob den Stuhl zurück.
Jane fuhr durch ihr kurzes, blondes Haar und strich die dreiviertellange Jacke glatt. Darunter trug sie graue Jeans. Ihre Tasche hatte sie über die Schulter gehängt.
Ich hatte mich in meinen alten Cordanzug geworfen. Cord war wieder modern, das wußte ich von Glenda, so tat das alte Schätzchen noch seine Dienste.
Jane war schon vorgegangen. »Wir haben gar nicht gefragt, wo wir herfahren müssen.«
Ich winkte ab. »Den Weg werden wir schon finden, keine Sorge.«
Sehr bald waren wir wieder unterwegs und stießen hinein in den Dunst. Das Dorf sah wie ausgestorben aus. Obwohl es noch dauerte, bis die Dunkelheit hereinbrach, schien sich das Leben bereits zurückgezogen zu haben. Selbst der Kramladen war nicht mehr geöffnet.
Wir verließen
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