0614 - Werwolf-Begräbnis
Daß es ein wahnsinniges Unterfangen war, brauchte ihr niemand zu sagen, nur konnte sie in diesen Augenblicken nicht anders. Zudem half die Arbeit ihr auch dabei, das eigene Schicksal zu vergessen.
Glenda besaß keine von harter Arbeit gezeichneten Männerhände.
Sie mußte deshalb doppelt so viel Kraft und Mühe aufwenden, um einen Erfolg zu erringen.
An ihre gepflegten Fingernägel wollte sie gar nicht erst denken.
Glenda machte weiter.
Vor der Brust des Mannes hatte sie begonnen. Sie schaffte es tatsächlich, den Boden aufzureißen, doch das lockere Sand-Lehm-Gemisch rutschte sofort wieder nach und füllte die Lücke aus.
Glenda gab nicht auf.
Sie roch die Erde, sie nahm auch den Staub wahr, der in kleinen Wolken hochtrieb und sich auf ihr Gesicht niederlegte, wo er eine schmutzige Spur hinterließ.
Glenda kämpfte um das Leben des Mannes, und sie kämpfte auch für sich, um den eigenen Schweinehund zu überwinden, denn immer öfter keimte in ihr der Gedanke hoch, daß sie es nicht mehr schaffen konnte. Dieser Körper steckte einfach zu tief im Boden.
Dann war es vorbei.
Sie fiel nach vorn, weil abermals ein Teil des Bodens zusammenrutschte und die Lücke ausfüllte. Glenda mußte einsehen, daß sie trotz ihrer Bemühungen es nicht schaffte, den Mann aus dieser verdammten Erde hervorzuholen.
Sie selbst weinte, hatte schrecklichen Durst. Die Zunge war angeschwollen, die malträtierten Schultern glühten, das wiederum erinnerte sie an den Teich, über dem sie gehangen hatte.
Ein Teich, der Wasser führte!
Mein Gott, warum hatte sie daran nicht vorher gedacht! Sie schlug sich gegen die Stirn und sprach den Mann gleichzeitig an. »Ich… ich werde Wasser suchen und finden, hörst du? Ich weiß ganz genau, daß es sich auf diesem …«
Der Mann regte sich nicht. Diesmal zitterten nicht einmal die Wimpern. Alles blieb völlig ruhig.
Glenda sagte nichts. Sie schloß nur sekundenlang die Augen, um sich mit dem fürchterlichen Gedanken anzufreunden, obgleich sie noch keinen Beweis hatte.
Dann schaute sie wieder hin.
Ein Blick reichte ihr aus, um erkennen zu können, daß das Schreckliche Eingetreten war.
Der Mann lebte nicht mehr. Während sie versucht hatte, ihn zu retten, war er gestorben und hatte sich als letztes Glied innerhalb dieses fürchterlichen Friedhofs eingereiht.
Sprechen konnte Glenda kaum, nicht einmal denken, denn in ihrem Gehirn befand sich eine große Leere. Die Enttäuschung hatte zugeschlagen wie mit den Hammer. Zudem kam noch das Gefühl der Niedergeschlagenheit hinzu. Wenn sich ein Mensch je verlassen gefühlt hatte, dann war es Glenda Perkins, die nicht mehr weiterkam.
Als sie sich zitternd erhob, stellte sie fest, daß sie nicht einmal mehr Tränen besaß. Alles war so schrecklich leer geworden, so anders, als wäre sie selbst eine Figur, ein lebender Toter, als würde sie sich zu den Zombies zählen.
Der Blick dieser Augen schaute sie fast vorwurfsvoll an. Sie konnte ihn nicht mehr ertragen. Es kostete sie große Überwindung, diese Augen zu schließen.
Es war jetzt der einzige Tote auf diesem Friedhof des Schreckens, dessen Kopf mit geschlossenen Augen aus dem Boden hervorragte.
Kein Windhauch regte sich. Eine Sonne sah sie auch nicht. Aber sie mußte vorhanden sein, denn sie schickte die Wärme durch eine dünne, graue Wolkendecke.
Glenda hatte den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen und wollte irgendwann aufstehen.
Es hatte keinen Sinn, wenn sie nur auf der Stelle hockenblieb, ändern konnte sie nichts mehr.
Es blieb beim Wollen, denn sie hörte plötzlich die leisen Laute.
Normalerweise wäre sie kaum aufmerksam geworden, in dieser Stille jedoch wirkten sie überlaut.
Sofort dachte Glenda an Schritte, daran wiederum glaubte sie einen Moment später nicht, denn die hörten sich anders an. Dennoch besaßen die Geräusche eine gewisse Ähnlichkeit mit leisen Schritten, auch wenn sie anders klangen.
Oder war es ein Tier, das sich ihr näherte?
Bisher hatte Glenda kein anderes Lebewesen – Kriechtiere einmal ausgenommen – entdecken können. Das wiederum mußte nichts bedeuten.
Sie lauschte weiter, kniete noch immer und stellte fest, daß die Geräusche verstummten.
Tief atmete sie durch. Glenda wußte, daß sie sich umdrehen mußte. Sie tat es auf der Stelle rutschend und wollte sich auch erheben, nur das schaffte sie nicht mehr.
Vor ihr stand, was für sie kaum zu fassen war, ein gewaltiger Wolf mit eisgrauem Fell!
***
Ich war längst wieder erwacht, doch ich
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