0614 - Werwolf-Begräbnis
quergelaufen, aber sie ging davon aus, daß ihre Entführung auch einen Grund gehabt haben mußte.
Die brütende Hitze hatte ihr den Schweiß auf die Stirn getrieben.
Noch immer kam ihr das Blickfeld eingeengt vor. Glenda preßte ihre Fingerspitzen seitlich gegen die Stirn, als könnte diese Bewegung dafür sorgen, daß alles wieder in die Reihe kam.
Sie schaute nach vorn, schätzte die Entfernung ab und kam zu dem Entschluß, daß sie die Distanz unterschätzt hatte. Von ihr aus bis hin zum Waldrand war es doch weiter als beim ersten Hinsehen.
Davor lag die heiße, leere Fläche, die sandig und irgendwo auch gelbbraun schimmerte. Sie ging mit zitternden Schritten weiter, wischte öfter als gewöhnlich über ihre Augen und stellte nun erst fest, daß sich dicht über dem Boden und in bestimmten Abständen dunklere Flecke zeigten, als hätte der Regen dort Pfützen hinterlassen.
Das war es bestimmt nicht, und Glenda konnte sich auch nicht vorstellen, um was es sich bei diesen Flecken handelte. Wäre ihr Sichtfeld normal gewesen, hätte sie bestimmt Einzelheiten ausmachen können, so aber mußte sie näher heran.
Sie ging mit vorsichtigen Bewegungen. Die Füße schienen jedesmal am Boden kleben zu wollen, so schwer tat sich die Frau bei jedem Schritt. Aber sie kam näher und erkannte, daß es sich nicht um Flecken oder Kreise handeln konnte, weil sie etwa ellbogenhoch über dem Boden standen und eine graue Masse bildeten.
Waren es Steine?
Glenda schlich näher. Über ihr eigenes Schicksal dachte sie in diesen Momenten nicht nach, denn sie hatte das Gefühl, vor einer schlimmen Entdeckung zu stehen.
Noch konnte sie nichts Genaues sehen, sie mußte noch dichter an die Gegenstände heran. Zwei Schritte nach links, wieder geradeaus, eine Schleifspur auf dem sandiger gewordenen Boden hinterlassend, und plötzlich traf es sie wie ein Hammerschlag.
Zuerst wollte sie nicht weitergehen, Glenda mußte sich dazu zwingen und blieb Sekunden später vor dem ersten »Stein« stehen.
War es tatsächlich ein Stein?
Sie wollte es nicht glauben, senkte den Kopf und hatte das Gefühl, die Welt um sie herum würde sich zu einem gewaltigen Kreisel verändern, so schaurig war das Wissen um diese Entdeckung.
Kein Stein ragte vor ihr aus dem Boden, sondern ein Kopf!
***
Glenda Perkins hörte sich selbst jammern. Diese Entdeckung war so grauenhaft, daß sie im einzelnen darüber nicht nachdenken wollte.
Sie starrte nur auf den Schädel, der aus dem Sand ragte und dessen Gesicht ihr zugewandt war.
Aber welch ein Gesicht?
Ob die Haare einmal schwarz oder blond gewesen waren, konnte sie nicht erkennen. Wahrscheinlich schwarz, denn das Gesicht besaß trotz seines veränderten Aussehens noch negroide Züge. Die Haut mußte lange der Witterung ausgesetzt worden sein, denn sie sah aus wie altes Papier, das von Furchen und Rillen durchzogen war, die Farbe von grauer Asche besaß und dessen Lippen an dickliche, aufgerissene Schläuche erinnerten, auf denen weißlichgelber Schorf lag.
Fast wie von selbst drückte sich Glenda in die Knie, um noch mehr erkennen zu können. Sie handelte wie unter Zwang und hatte es geschafft, das Grauen des langen Augenblicks aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Das harte Klopfen des Herzschlags dröhnte zudem im Hirn wider. Ihre Lippen zitterten, die Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, sie wischte sie weg und legte ihren eigenen Kopf so schief, daß sie direkt in das Gesicht schauen konnte.
Am völlig leeren Ausdruck der Augen erkannte sie, daß der Mensch, zu dem dieser Kopf gehörte, längst tot war. Man hatte ihn hier eingegraben und seinem Schicksal überlassen.
Ohne Wasser, nur den Kräften der Natur ausgesetzt und dem, was sich noch im Sand befand.
Dem kleinen Getier, den zahlreichen Käfern, Spinnen und Flöhen, die in diesem Boden eine ideale Heimat fanden.
Glenda hatte eine Gänsehaut bekommen. Erst nach einer Weile richtete sie sich auf, das Gesicht verzerrt, so daß sie sich selbst vorkam wie jemand, der nur mit dem Kopf aus dem Boden hervorschaute. Sie merkte, wie sie am gesamten Körper zitterte und sich der Herzschlag noch stärker beschleunigt hatte.
Wenn sie drei Schritte nach vorn ging, dann stolperte sie beinahe über den zweiten Schädel, und das war beileibe nicht alles.
Sie wollte die Köpfe nicht mehr zählen, die aus dem Sandboden schauten, und ihr wurde klar, daß sie vor einem fürchterlichen Friedhof stand, einem Totenacker, wie er ihr noch nie in ihrem Leben
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