0619 - Das Para-Mädchen
sich ihrer Hand zu entwinden und lief aus dem Zimmer.
Zamorra sprach sie auf seine Beobachtung an.
»Fiel mir auch auf«, gestand die Schottin. »Aber ich verstehe das nicht. So hat er sich noch nie verhalten. Zamorra… glaubst du, daß seine Magie durchbricht?«
»Nach allem, was ich über die Erbfolge weiß, ist das entschieden zu früh«, erwiderte er. »Der Durchbruch soll doch während der Pubertät statt finden, nicht wahr? Das dauert aber noch einige Zeit.«
»Ich weiß auch nur das, was Bryont mir damals erzählt hat. Du kennst ihn viel länger als ich.«
Zamorra nickte.
Er hatte Sir Bryont ap Llewellyn vor fünfzehn? - nein, vor über siebzehn Jahren kennengelernt. Damals hatten sie den Dämon Grohmhyrxxa in seine Schranken verwiesen. [3]
Später hatte Zamorra erfahren, was es mit dem Lord und der Erbfolge auf sich hatte. Sir Bryont kannte das Datum seines Todes auf den Tag genau. Denn er lebte genau einen Tag länger als sein Vorgänger, und sein Nachkomme würde genau einen Tag länger leben als Bryont Saris. Diese Erbfolge zog sich über unzählige Generationen in eine zigtausendjährige Vergangenheit. Fest stand, daß der Lord ziemlich genau neun Monate vor seinem Tod einen Sohn zeugen mußte. Wenn er starb, wurde der Sohn geboren, und der Geist, die Seele, das Bewußtsein -wie auch immer man es nennen mochte - ging von dem alten auf den neuen Lord über. Er war also eigentlich er selbst, nur in einem neuen Körper. All sein Wissen und seine Magie erwachte wieder von neuem, wenn er dem Kindheitsstadium entwuchs.
Das Ganze hatte einen höheren Sinn - Lord Saris war der einzige, der die Auserwählten zur Quelle des Lebens führen konnte.
Die traten dort im Kampf gegeneinander an, und nur einem Überlebenden war es vergönnt, vom Wasser der Quelle zu trinken und damit die relative Unsterblichkeit zu erlangen; für ihn gab es dann kein Altern mehr und keine Krankheiten, und nur durch Gewalteinwirkung konnte er ums Leben kommen.
Professor Zamorra war einer dieser Auserwählten gewesen, Torre Gerret der andere. Aber Zamorra hatte Gerret nicht getötet und damit nicht nur eklatant gegen die Regeln verstoßen, sondern auch noch seine Gefährtin Nicole Duval in den Genuß des lebenserhaltenden Wassers kommen lassen. Er war kein Mörder! Er hatte die Hölle der Unsterblichen gesehen, in denen sie nach einem gewaltsamen Tod endeten und dort bis ans Ende des Universums zu leiden hatten, und auch wenn er diese endlose Hölle erst viel später gesehen hatte, war es auch vorher schon wider seine Natur gewesen, zu töten, nur weil es ihm von einer höheren Instanz vorgeschrieben wurde. Er hatte Gerret verschont, aber er hatte einen hohen Preis dafür bezahlen müssen. [4]
Und jetzt war Gerret doch in jener entsetzlichen Hölle gelandet, die keine Erlösung erhoffen ließ. Aber das war nicht Zamorras Schuld; er hatte Gerret bis zum letzten Moment festhalten wollen und es doch nicht geschafft.
Nur einmal in einer Lebensphase des Erbfolgers war es diesem gewährt, Auserwählte zur Quelle zu bringen. Saris, der 265 Jahre alt geworden war, hatte bis 12 Jahre vor seinem Tod damit gewartet. Wie viele Auserwählte mochte es vorher schon gegeben haben, die das Potential zur Unsterblichkeit in sich trugen, aber niemals vom Quellwasser trinken durften?
Zamorra wußte es nicht, und er wollte es auch nicht wissen. Er ging davon aus, daß er einfach Glück gehabt hatte. Oder Pech; was hatte er schon davon, ewig leben zu können, wenn er einen ewigen Kampf gegen die Mächte der Finsternis zu führen hatte und jeder Tag sein letzter sein konnte? Er hatte Freunde sterben gesehen, und manchmal sah er die Unsterblichkeit als einen Fluch. Doch er hatte ihr nicht ausweichen können; er hatte der Wächterin der Quelle lediglich auch das Wasser für Nicole abgezwungen.
In den nächsten 262 Jahren - vier davon hatte Biyonts ›Sohn‹ Rhett schon hinter sich gebracht - würde es wieder nur einen neuen Unsterblichen geben, und auch das erst, wenn dereinst der erwachsene Sir Rhett Saris entschied, es sei an der Zeit dafür.
Zeit - hatte sie für die Erbfolge des Llewellyn-Clans jemals eine Rolle gespielt? Seit über 31 000 Jahren gab es den Clan, und Sir Bryont hatte Zamorras Freund, dem Reporter Ted Ewigk, einmal gesagt: »Das schottische Volk hat sich niemals von der modernen Geschichtsschreibung beeinflussen lassen. Wenn die Geschichte sagt, daß vor tausendfünfhundert Jahren vom heutigen Irland Menschen einwanderten, die
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