062 - Das Moerderspiel
nichts Verdächtiges. So ließ sie sich in den Fauteuil fallen, den sie vorher benützt hatte.
Sie beschloß, nichts von dem Vorgefallenen zu sagen. Piwnjew, der Aufmerksame, bemerkte vielleicht,
daß sie sich umgezogen hatte, aber sie könnte irgend etwas Unverfängliches sagen, daß sie als erste aufgewacht sei und das Bedürfnis hatte, aus den alten Sachen zu schlüpfen.
Wenn sie aber schwieg, würden Cramer, Montanelli, Mitsubishi und Piwnjew nicht erfahren, daß es einen fünften Mann im Haus geben mußte! Verdammt! Sie kaute unschlüssig an ihren Nägeln.
„Schon aufgewacht, Miß?“ fragte Cramer plötzlich.
Er rieb sich die Augen, gähnte und fügte hinzu: „Wir müssen uns tatsächlich dazu entschließen, nur mehr Wasser zu trinken. Wieder ein Toter unter uns?“
Elisabeth schüttelte den Kopf.
Nun bewegte sich auch Montanelli, schmatzte ein wenig, wachte aber nicht auf. Von allen hatte er vermutlich am meisten getrunken.
Cramer lachte leise. „Diesmal verstehe ich überhaupt nichts mehr. Derjenige, der sein Schlaftränklein in den Wein geschüttet hat, befindet sich hier, unter uns, im gleichen Zustand wie seine Opfer. Was bezweckt er wohl damit?“
Elisabeth machte ein nachdenkliches Gesicht und vermied es. Cramers forschenden Blicken zu begegnen. Sie wußte, daß der Amerikaner bereits ihren Kleiderwechsel bemerkt hatte, und daß er angestrengt nach einer plausiblen Erklärung suchte. Und wenn er sie nicht fand, würde er direkter werden und Fragen stellen, die Elisabeth um jeden Preis vermeiden wollte.
Mitsubishi schnarchte, öffnete ein Auge, fixierte damit Elisabeth. Er setzte sich auf, starrte benommen ins Leere und versuchte wohl herauszufinden, was mit ihm geschehen war.
„Der Wein, den wir getrunken haben, war mit Schlafmitteln versetzt“, erklärte Elisabeth.
Der Japaner schüttelte den Kopf und lachte in sich hinein.
„Glückliche Natur“, bemerkte Cramer.
„Entschuldigen Sie“, sagte Mitsubishi. „Aber ich dachte eben, daß ich meinen bisherigen Aufenthalt in diesem Haus zumeist verschlafen habe.“
Cramer hob die Schultern, und Alexander Piwnjew neben ihm fiel ein wenig nach vorn. Aber in einem Winkel, wo man glaubte, daß sein eigenes Gewicht ihn nach vorn ziehen müßte, blieb er in unbeweglicher Stellung.
Cramer schüttelte ihn sacht an der Schulter. „Wachen Sie auf!“
Als er seine Hand wegzog, wurde er weiß im Gesicht, und sein Ausdruck änderte sich. Seine Hand war blutig.
„Sehen Sie!“ keuchte er. „Er hat einen Dolch im Leib! Er wurde buchstäblich an den Diwan genagelt!“
Gerade als er zu Ende gesprochen hatte, wurde es wieder dunkel. Elisabeth konnte einen Entsetzensschrei nicht unterdrücken und schrie weiter, bis sich eine Hand auf ihre Lippen legte.
„Ich bin es, Mademoiselle Sourbier“, sagte Mitsubishi beruhigend. „Haben Sie keine Angst.“
„Wer kann jetzt den elektrischen Strom abschalten?“ fragte sie.
„Niemand natürlich“, sagte Cramer. „Vielleicht haben die Generatoren einen Schaden. Warten Sie, ich habe Zündhölzer bei mir.“
Er holte eine Schachtel Zündhölzer heraus, aber erst beim dritten Versuch flammte ein Hölzchen auf. In dem schwachen Licht sah Elisabeth, daß niemand von ihnen seinen Platz verlassen hatte. Mitsubishi riß die Augen hinter seinen dicken Brillengläsern auf, und Montanelli gähnte ausgiebig. Piwnjew lag nach vorn gebeugt schräg in seinem Fauteuil, und aus seinem Rücken ragte die Klinge eines enormen Küchenmessers. Cramer hielt das Zündholz hoch, bis es ihm die Finger verbrannte, warf es dann in den Aschenbecher, und im selben Augenblick flammte das Licht wieder auf.
„Ich habe es ja gleich gesagt“, meinte Cramer. „Es liegt an der Anlage.“
Von fern hörte Elisabeth ein leichtes Dröhnen, als sich der Motor wieder in Betrieb setzte. Sie war verwirrt. Wenn diese Panne tatsächlich nur zufällig war, dann gab es also keinen fünften Mann im Haus …?
Ihr Blick strich von Cramer zu Mitsubishi, über Montanelli zu Piwnjew. Die Hände, die zärtlich über ihren Körper gestrichen waren, hatten einige Sekunden später einen Menschen getötet.
Sie fröstelte und fühlte, wie ihr übel wurde.
Mitsubishi war ihrem Blick gefolgt. „Krankenschwester, was? Ich sage es ja immer, die Jugend hat mit zu vielen Gefühlen zu kämpfen. Der kleinste Blutstropfen, und sie verdrehen die Augen und fallen in Ohnmacht …“
Der kleine Blutstropfen, von dem Mitsubishi sprach, war eine riesige Lache.
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