062 - John Flack
lieber Mr. Reeder«, sagte er in seiner eleganten, blasierten Redeweise. »Sie begehen einen lächerlichen Irrtum, aber ich will mich fügen. Ich kann den Nachweis liefern, daß ich zu der Zeit, als die Perlen in Hertford Street gestohlen wurden, in Nizza war.«
Das sagte er auf dem Wege zum Polizeibüro. Er wurde verhört und visitiert, und man fand verschiedene Waffen, die in sehr geschickter Weise an seinem Körper untergebracht waren, aber er lachte nur darüber. Das Lachen verging ihm aber, als man Anklage wegen des Bankraubes in Sens, wegen versuchten Mordes am Nachtwächter und noch wegen ein oder zwei kleinerer Sachen gegen ihn erhob.
Man brachte ihn in die Zelle, und Mr. Reeder gab ihm einen freundlichen Rat.
»Sagen Sie doch einfach, daß Sie während dieser Zeit in Nizza waren«, riet er ihm liebenswürdig.
Dann verhaftete die Polizei eines Tages einen Mann in Somers Town, und zwar unter der recht prosaischen Anklage, seine Frau in der Öffentlichkeit verprügelt zu haben. Als man ihn durchsuchte, fand man das abgerissene Stück eines Briefes, das sofort an Mr. Reeder gesandt wurde und folgendermaßen lautete:
Irgendeine Nacht elf Uhr Whitehall Avenue. Reeder ist mittelgroß, hat sandgraues Haar, ziemlich starken Backenbart, trägt immer Regenschirm. Ich rate Dir, Schuhe mit Gummisohlen zu tragen und ein handliches Stück Eisenstange mitzubringen. Du kannst leicht herausfinden, wie er aussieht. Warte den richtigen Augenblick ab ... Fünfzig auf Vorschuß ... Rest, wenn die Arbeit erledigt ist.
Dies war das erste Beweisstück für Mr. Reeder, daß er dem geheimnisvollen John Flack ein ganz besonderer Dorn im Auge war.
Der Tag, an dem ›Klaps-John-Flack‹ nach Broadmoor transportiert wurde, verschaffte Mr. Reeder das Gefühl einer gewissen Genugtuung. Er war darüber nicht besonders erfreut oder auch erleichtert; er hatte die Empfindung eines Buchhalters, der den Schlußstrich unter eine befriedigende Bilanz zieht, oder die eines Baumeisters, der sein fertiges Werk überblickt. Es gab noch andere Bilanzen abzuschließen, noch andere Gebäude aufzuführen - nur in Form und Menge unterschieden sie sich von jenen. Eines stand aber fest: Was für Pläne auch immer Flack im Kopf haben mochte, einen beträchtlichen Teil seiner Gedanken widmete er J. G. Reeder - ob es Rachepläne für Geschehenes oder Vorbeugungsmaßregeln für die Zukunft waren, das konnte der Detektiv nur vermuten, aber Vermuten war seine starke Seite.
Das Telefon in einer entfernten Ecke des Zimmers klingelte schrill, und Mr. Reeder nahm den Hörer mit einem schmerzlichen Gesichtsausdruck auf. Der Beamte des Fernsprechamtes teilte ihm mit, daß er von Horsham verlangt wurde. Er nahm einen Schreibblock und wartete. Und dann hörte er eine Stimme, und kaum war das erste Wort gesprochen, als er den Sprecher erkannte. Mr. Reeder erkannte jede einmal gehörte Stimme sofort wieder.
»Sind Sie es, Reeder . . .? Wissen Sie, wer ich bin . . .?«
Dieselbe dünne, angespannte Stimme, die von der Anklagebank in Old Bailey Drohungen gegen ihn ausgestoßen hatte, dasselbe kichernde Lachen, das seine Worte ständig trennte.
Mr. Reeder drückte auf einen Klingelknopf und begann, schnell auf seinem Block zu schreiben.
»Wissen Sie, wer ich bin , . .? Ich wette, Sie wissens's . . .! Sie dachten wohl, Sie wären mich losgeworden, nicht wahr . ..? Bis jetzt noch nicht . . .! Hören Sie mal, Reeder, Sie können dem Yard sagen, daß ich viel vorhabe . . ., ich werde ihnen eine Überraschung bereiten, wie sie noch keine in ihrem Leben gehabt haben . . . Verrückt, ich - verrückt . . .? Ich will euch mal zeigen, ob ich verrückt bin oder nicht . . . Und Sie, Reeder, Sie kriege ich auch noch . . .«
Ein Bote kam herein, Mr. Reeder riß das Blatt ab und gab es ihm.
»Sind Sie es, Mr. Flack?« fragte er sanft.
»Ob es Mr. Flack ist, Sie alter Heuchler! Haben Sie das Paket erhalten . . .? Ich möchte gern wissen, ob Sie es erhalten haben . . . Wie denken Sie darüber?«
»Das Paket?« fragte Mr. Reeder, freundlicher denn je, und bevor der Mann noch antworten konnte: »Sie werden sich große Unannehmlichkeiten zuziehen, wenn Sie versuchen, das Büro des Generalstaatsanwaltes an der Nase herumzuführen, mein Freund«, sagte er vorwurfsvoll. »Sie sind nicht ›Klaps-John-Flack‹ . . . Ich kenne seine Stimme. Mr. Flack spricht mit einem besonderen Cockney-Akzent, der nicht leicht nachzuahmen ist, und er befindet sich in diesem Augenblick in den Händen der
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