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0623 - Ein Tropfen Ewigkeit

0623 - Ein Tropfen Ewigkeit

Titel: 0623 - Ein Tropfen Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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als wäre sie glatt geschliffen worden.
    Die Felsen oder gewaltigen Steine wirkten so, als wären sie von mächtigen Händen aufeinandergetürmt worden. Die Gegend erinnerte sie an ein Bauwerk.
    Sprechen konnte sie nicht. Etwas drückte ihre Kehle zu. Die Lippen zitterten, und die Angst war wie eine Klammer, die ihren Körper einfach nicht losließ.
    Um den Kopf des Mächtigen erkennen zu können, mußte sie ihren weit in den Nacken zurücklegen. Sie schaute hoch und hatte den Eindruck, gegen einen Turm zu sehen, der mit einem Menschenkopf bestückt war. Auch der Riese glotzte auf sie nieder. Er bekam mit, wie schwer Melu Luft holte und wie schwer es ihr auch fiel, die Frage zu stellen, die ihr auf dem Herzen brannte.
    »Wer bist du?«
    Der Riese hatte die Frage gehört. Er verstand zudem ihre Sprache und antwortete.
    »Man nennt mich Dyfur.«
    Melu nickte und schluckte zugleich. »Den… den Namen habe ich noch nie gehört. Ich kann damit nichts anfangen. Das mußt du mir glauben. Ich weiß es einfach nicht …«
    »Aber du kennst Brân?«
    »Ja…«
    »Das ist mein Bruder. Der Schattenreiter und ich sind Geschwister, klar?«
    Eigentlich hätte sie jetzt aufatmen können, sie tat es nicht, weil sie Dyfur nicht traute. Mochte er Brân auch seinen Bruder nennen, allein, sie wußte selbst, wie unterschiedlich Geschwister sein konnten.
    Da war es durchaus möglich, daß es einen Guten und einen Bösen gab. Und so sah sie es auch.
    »Ich möchte zu ihm.«
    Dyfur lachte. Es hörte sich für Melu an, als würde über ihr ein Gewitter toben. »Das kann ich mir denken, daß du zu ihm willst, schließlich hat er dich geholt. Aber ich bin nicht er, das mußt du begreifen. Ich bin Dyfur, wir sind verschieden. Er ist der Hüter des Wunderkessels, er kocht die Toten lebendig, ich aber bin genau das Gegenteil von ihm, wenn du begreifst.«
    »F… fast …«
    »Dann will ich es dir sagen und dich nicht über dein Schicksal im unklaren lassen.« Der Riese senkte seinen mächtigen Schädel. »Ich gehöre zu denen, über die auch in deiner Welt manchmal gesprochen wird. Denn ich bin der Fresser. Ich verschlinge Menschen, ja, du kannst mich als einen Menschenfresser bezeichnen. Weißt du nun, welches Schicksal dir bevorsteht?«
    Melu hatte nicht damit gerechnet, blaß werden zu können. In diesem Fall wurde sie es. Die junge Frau merkte, wie ihre Beine nachgaben und der Schwindel sie wie ein gewaltiger Wirbel erfaßte, als wollte er sie in die Tiefe der Felsen zerren. Ihre Augen waren naß geworden, die Tränen schossen hervor und vermischten sich mit den Wassertropfen auf ihrer Haut. Sie zitterte von den Füßen bis zu den Haaren, bekam Schweißausbrüche und ging so weit zurück, bis die nackte Haut ihres Rückens die warme Felswand berührte, wo sie sich abstützen konnte.
    »Warum?« hauchte sie.
    Der Riese hatte sie trotzdem verstanden. »Ich will dir eine Antwort geben, meine Liebe. Ich verschlinge die Menschen und warte darauf, daß es welche gibt, die den Weg in diese Welt finden. Wer immer nach Avalon kommt, der wird von mir verschluckt, denn auch ich muß leben!« Wieder lachte er auf, rieb dabei seine Handflächen gegeneinander, was sich anhörte, als würden Steine übereinanderschaben. »Das Schicksal hat uns zu dem gemacht, was wir sind. Zwei unterschiedliche Brüder, verschieden wie Feuer und Wasser, die nach bestimmten Regeln leben.«
    »Deine bedeutet Tod, nicht?«
    »So ist es.«
    »Warum?«
    Melu bekam eine schlichte Antwort. »Weil der Tod zum Leben gehört, deshalb.«
    Sie hatte Mühe, ihre Erregung zu verbergen. »Und deshalb tötest du? Bist du ein Richter oder Henker?«
    »Beides.«
    Sie senkte den Kopf. Ihr fiel einfach nichts mehr ein. Gegen diese Argumente kam sie nicht an, und sie merkte, wie über ihren Rücken eine Gänsehaut lief. Immer wieder, immer wieder neu. Die Angst konnte sich einfach nicht anders artikulieren.
    Dennoch wunderte sie sich, daß sie eine Frage stellen konnte, auch wenn die Worte nur gequetscht aus ihrem Mund drangen. »Wo wirst du mich töten?«
    »Nicht hier.«
    »Gibt es einen bestimmten Platz?«
    Der Riese öffnete sein Maul und konnte ein Lachen nicht verkneifen. »Ja, diesen Platz gibt es. Ich bezeichne ihn als den Mittelpunkt der Insel. Dort wird gelebt, dort wird gestorben. Dort gehen die Toten in den Kessel, um als Lebende wieder hervorzukommen. Ich aber setze das Gegengewicht, denn ich verschlinge euch, und niemand wird mich daran hindern, auch mein Bruder nicht.«
    Melusine

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