0624 - Der Schädel des Riesen
Hyde Park, wo der gewaltige Schattenreiter zuerst aufgetaucht war und mich nach Avalon geholt hatte.
Auf der Nebelinsel war ich ebenfalls mit ihm zusammengetroffen.
Das konnte ich noch hinnehmen. Wie aber war es möglich, daß ich ihm in meiner Zeit zweimal begegnete?
Einmal als Schattenreiter und dann wiederum als Kopf, der über Jahrhunderte hinweg verborgen geblieben war?
»Wie?« keuchte ich.
Der Riese unter mir »lachte«. Seine Stimme hörte ich nur in Gedanken. »Du weißt, daß man mit der Zeit spielen kann. Ich bin tot und lebe zugleich. Avalon hat mich aufgesaugt. Die Insel hat mir das Leben gegeben, nach dem ich in meiner normalen Existenz immer trachtete. Ich bin tot und lebe gleichzeitig als Geist weiter. Hin und wieder kann ich Avalon als Geist verlassen und die Personen in meinen magischen Bann ziehen, die ich haben will. Ich bin auch gleichzeitig mein eigenes Denkmal, der Kopf in einem Wald, vor der Welt verborgen. Dann kam der Sturm, ein Schicksal, jetzt bin ich sichtbar, genau zum richtigen Zeitpunkt, und ich bin die Verbindung zur Nebelinsel.«
»Was bist du?« formulierte ich in Gedanken.
»Noch ein Weg…«
Ich schluckte. »Bitte, du mußt es mir genauer erklären. Ich… ich kann es nicht fassen.«
Er antwortete sehr schnell. Wahrscheinlich lag es ihm auf dem Herzen. »Die Menschen haben immer wieder über Avalon gesprochen und die Nebelinsel gesucht. König Artus hatte ihnen die Richtung gewiesen, indem er einfach nach Westen hin verschwand. Mehr hat er ihnen nicht gesagt. Ich aber, der Riese Brân, bin der zweite Weg. Durch mich kann jemand nach Avalon gelangen. Das haben bisher nur wenige gewußt, vielleicht auch keiner, ich bin mir nicht sicher.«
»Aber ich weiß es jetzt.«
»Da hast du recht. Wir stehen uns nicht als Feinde gegenüber. Ich würde sagen, daß du zu den würdigen zählst, die wissen dürfen, wohin der Weg führt.«
»Dann könnte ich wieder auf die Nebelinsel zurückkehren?«
»Willst du das?«
»Nein. Ich will nur das zurückhaben, was man mir gestohlen hat, wenn du begreifst.«
»Deine Jugend.«
»So kann man es auch nennen. Ich möchte nicht so alt bleiben, wie man mich gemacht hat. Da hat sich Avalon gegen mich gestellt. Seine Kraft trug daran die Schuld.«
»Es kann an dir alles wieder gutmachen.«
»Ich warte darauf.«
»Nur ist das nicht so einfach, John. Leistung bedeutet auch Gegenleistung, wenn du verstehst. Man wird dir nur etwas geben, wenn auch du etwas gibst.«
Ich konnte mir ein kratziges Lachen nicht verbeißen. »Diese Logik gefällt mir überhaupt nicht. Man hat es mir gestohlen, verstehst du das? Ich bin nichts schuldig.«
»Nach deinen Gesetzen.«
»Es sind die einzig wahren.«
»Nicht für Avalon. Du darfst nicht vergessen, daß Avalon nicht in deine Welt gehört. Es ist die Insel der Geister, der lebenden und der Toten. Du kannst als Toter durch den Kessel wandern und kommst als Lebender wieder hervor. Sei dankbar, daß sich der Gral in deiner Hand befindet. Nur er konnte dir den Weg weisen.«
»Und der Tropfen Ewigkeit, den du nicht vergessen solltest«, erklärte ich.
»Ja, du hast Helfer und Freunde. Das findet man auch nicht allzu oft in dieser Zeit. Wie gesagt, ich habe dir einen Vorschlag gemacht. Gib du etwas ein, dann wirst du auch etwas zurückbekommen. Du mußt Avalon etwas anbieten.«
»Was?«
»Vielleicht ein Leben.«
»Ich soll jemand opfern?«
»So kann man es auch ausdrücken.«
»Nein, Brân, so etwas kann man von mir nicht verlangen. Tut mir leid.«
»Dann hast du Pech gehabt.«
Ich wechselte das Thema. »Und wie ist es möglich, daß du mir mein wahres Alter zurückgibst?«
»Nicht ich – Avalon.«
»Das mußt du mir erklären.«
»Wenn die Nebelinsel merkt, daß sie ein Geschenk bekommt, wird sie dich nicht vergessen. Ich kenne mich aus, du mußt glauben, John Sinclair. So steht es in den Gesetzen.«
»Die von Merlin stammen, wie?«
»Wer sie auch immer hinterlegt haben mag, sie sind für die Nebelinsel bindend und damit auch für die Personen, die mit ihr in Kontakt getreten sind. Ich habe den Menschen damals eine Chance geben wollen, auf die Nebelinsel zu gelangen, um sich ihre Träume zu erfüllen. Sie aber haben nichts gelernt und nicht gehandelt. Du kannst es. Finde ein Opfer, das ich verschlingen kann.«
»Es soll durch deinen Mund gehen?«
»So habe ich es vorgesehen.«
»Es ist für mich unfaßbar…«
»Ich weiß, und ich weiß auch, daß es drängt«, sagte der Riese.
»Deshalb
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