0633 - Wenn Druidenseelen trauern
Lockvogel gedient und war für mich nichts anderes als das konzentrierte Böse gewesen.
Ich hörte hinter mir Schritte und drehte mich herum. Margot führte ihre Enkelin in das Haus.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie.
»So weit schon.«
Margot führte Colette zu einem Stuhl. »Ich werde dir etwas zu trinken holen, Kind.«
Sie nickte nur apathisch.
Ich setzte mich zu ihr. »Weißt du eigentlich genau, was geschehen ist, Colette?«
Sie bewegte ihren Kopf. »Nein, nicht richtig. Es kam mir wie ein Traum vor. Ich musste ihn sehen…«
»Das verstehe ich sogar. Er ist dein Lebensretter gewesen.«
»Und ich war ihm versprochen worden. Die Erinnerung kam plötzlich. Ein Versprechen muss gehalten werden.«
»Nicht, wenn es für dich den Tod bedeuten kann, Colette!«
Sie hob die Schultern und nahm das Glas entgegen, das ihr von Margot gereicht wurde. Das Wasser trank sie in kleinen Schlucken, schaute ihre Großmutter an, mich ebenfalls und wusste wohl nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte.
»Wird er denn zurückkehren?«, fragte sie leise.
Ich nickte. »Davon müssen wir ausgehen. Er hat eine andere Gestalt angenommen, Materie und Geist konzentrieren sich bei ihm auf eine bestimmte Form.«
»Ich sah einen Kopf«, flüsterte sie zwischen zwei Schlucken.
»Das stimmt.«
»Er konnte sogar fliegen«, bestätigte die Großmutter.
Colette hob ihre Schultern und verengte dabei die Augen. »Ja, er wird die Insel nicht verlassen. Das spüre ich sehr deutlich. Es ist sein Reich, hier hat er gelebt, hier fühlte er sich wohl. Er wird das Grauen bringen, davon bin ich überzeugt. Er wird von einer Welt in die andere tauchen, er kann sein Reich verlassen, man hat ihn genarrt, was ich zu spüren bekommen werde.«
»Noch sind wir da«, sagte ich.
»Wie willst du ihm denn beikommen?«
»Das entscheide ich, wenn es so weit ist.« Ich dachte daran, dass er sich so schnell wie möglich zeigen sollte, weil ich einfach keine Lust hatte, noch stundenlang auf ihn zu warten. Er wollte eine Entscheidung, ich ebenfalls.
Plötzlich läutete die Glocke!
Das geschah so unerwartet, dass wir drei starr auf dem Fleck saßen und uns zunächst nicht rührten.
»Was hat es zu bedeuten?«, fragte ich.
Margot hob die Schultern. »Ich weiß es nicht, aber die Menschen scheinen etwas bemerkt zu haben, besonders Lerain, sonst würde er nicht die Totenglocke läuten.«
»Wenn sie anschlägt, bedeutet das Böses«, flüsterte Colette. »Sie hat immer mit Sterben zu tun.«
Ihre Augen weiteten sich. »Sind wir damit gemeint oder nur ich?«
Ich gab ihr keine Antwort. Dafür stand ich auf und erklärte den beiden, dass ich mich draußen umsehen wollte.
»Sei vorsichtig, John Sinclair!«, flüsterte mir die alte Frau warnend nach.
»Keine Sorge, das schaffe ich schon.«
Vor dem Haus erreichte mich der Klang lauter. Man spricht immer vom dünnen Bimmeln der Totenglocke. Das mochte tagsüber seine Richtigkeit haben, in der Nacht jedoch, wenn es stiller war, sah alles ganz anders aus. Da klang selbst dieses Läuten lauter.
Zum Kirchturm schaute ich nicht hin, weil ein anderes Ereignis meine Aufmerksamkeit voll und ganz beanspruchte. Ich konnte von meinem Standort aus nicht direkt bis zum Friedhof schauen, sondern nur in die ungefähre Richtung.
Dass sich dort etwas tat, war zu sehen, denn über dem Areal schwebte ein grünlicher Schein.
Für mich stand fest, dass der Druidenschädel einen Angriff vorbereitete.
Noch tat sich nichts. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Der Wind hatte sich etwas gelegt. Wenn der in mein Gesicht fuhr, hörte ich seine Laute. Wiederum nahm ich das Säuseln und leise Klagen der Trauer, das der Wind mitbrachte.
Dann schreckten mich rasche Schritte auf, die hinter mir erklangen. Ich drehte mich um. Lerain hetzte auf mich zu. Er war außer Atem und schien schnell und weit gelaufen zu sein.
Keuchend blieb er vor mir stehen. »Sie haben Schuld, nur Sie, Mister, das sage ich Ihnen.«
»Woran trage ich die Schuld?«
»Schauen Sie nach vorn. Sehen Sie das Leuchten? Dort haben sich die verfluchten Druidengeister versammelt. Sie konnten ihre Welt verlassen und bilden die Aura.«
»Ob es mehrere Geister sind, weiß ich nicht. Mir ist bisher nur einer begegnet. Eine andere Frage habe ich. Weshalb läutet die Totenglocke? Haben Sie das veranlasst?«
Er nickte heftig. »Und ob ich das getan habe, Fremder. Ich musste es, denn ich weiß, dass der Tod auf unser Dorf zukriecht. Die Menschen werden ihre Häuser bald
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