0633 - Wenn Druidenseelen trauern
verlassen haben. Ich habe ihnen geraten zu fliehen, obgleich sie auf dem Meer auch nicht sicher sind. Niemand ist vor den Druiden und ihrer Macht sicher.«
Ich packte ihn an und schüttelte ihn durch. »Wer immer Sie sein mögen, Lerain, Pfarrer oder Scharlatan, aber sagen Sie den Leuten, dass sie in ihren Häusern bleiben sollen.«
»Warum?«
»Weil ich es so will.«
»Das ist keine Antwort für mich. Sie sind fremd hier, ich kenne die Gegebenheiten…«
»Dann richten Sie sich danach, verflucht noch mal. Sie können dazu beitragen, dass es keine Toten gibt und dass es zu keiner Katastrophe kommt.«
»Wollen Sie das verhindern, Fremder?«
»Wahrscheinlich.«
»Wie denn? Wie denn?«, kreischte er. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie es schaffen.«
»Gehen Sie!« Ich ließ ihn los und stieß ihn so hart zurück, dass er stolperte.
Er blieb stehen und drohte mit der Faust. »Bereuen werden Sie es, Fremder! Sie haben es gewagt, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen. Sie haben es tatsächlich gewagt. Das wird Sie etwas kosten, wahrscheinlich sogar das Leben.«
»Machen Sie keinen Unsinn, Lerain.«
»Das Mädchen!«, keuchte er. »Es geht um das Mädchen. Es hat sich nicht richtig verhalten, deshalb ist das auf dem Friedhof geschehen. Die alten Geister der Toten, die wir längst vergessen haben, sie sind da und melden sich wieder. Auf dieser Insel lastet ein böser Fluch, ein Druidenfluch. Die Seelen finden keine Ruhe, sie heulen im Wind, nur weil Menschen nicht in der Lage sind, ein Versprechen einzuhalten. Verstehen Sie das, Fremder?«
»Sie haben schließlich laut genug gesprochen, Lerain. Aber jetzt gehen Sie, ich kann es nicht mehr hören. Sorgen Sie dafür, dass es keine Toten gibt.«
Er starrte mich noch einmal an, dann machte er kehrt und rannte weg.
Im Prinzip musste ich ihm Recht geben, denn das alte Versprechen war tatsächlich nicht eingelöst worden. Dass Druiden Rache nehmen können, war mir auch klar, nur konnte ich nicht sagen, wie diese Rache aussehen würde.
Auf dieser Insel waren zahlreiche Druiden begraben worden. Eichenkundige, die keine Feinde der Menschen gewesen waren und sich praktisch mit ihnen verbündet hatten.
Ihre Körper lagen in der feuchten Inselerde, längst vermodert und zu Staub zerfallen.
Aber was war mit ihren Seelen?
Wohin gelangten sie nach dem Ableben der Druiden? Vielleicht nach Aibon, das von den Eichenkundigen als Paradies angesehen wurde? So oft ich schon in diesem für Menschen verbotenen Land gewesen war, danach hatte ich nicht gefragt.
Endlich verstummte das Läuten.
Dennoch trat keine Stille ein. Die Botschaft der Glocke hatte ihr Ziel erreicht und die Menschen aus ihren Häusern ins Freie gelockt. Ich hörte ihre Stimmen, sah auch flackernde Lichter, weil einige von ihnen Fackeln trugen und andere mit Taschenlampen bewaffnet waren.
Keiner wusste, was eigentlich geschehen war. Sie redeten durcheinander. Ich war jedoch fest davon überzeugt, dass sich alle auf den grünbleichen Schein über dem Friedhof konzentrieren würden, denn dort befand sich die magische Zone.
Nicht mehr lange allerdings, denn sie begann zu wandern!
Plötzlich stieg der Schein an und breitete sich gleichzeitig aus wie ein See.
Für mich war es ebenso spannend wie für die anderen, denn ich ging davon aus, dass dieses geisterhafte Druidenlicht sich auf ein neues Ziel zu bewegen würde.
Colette war nicht vergessen, deshalb nahm ich an, dass Margots Haus gemeint war.
Noch blieb ich draußen, auch deshalb, weil ich den Schädel des Druiden suchte.
Urplötzlich war er da!
Er schien aus dem Erdboden hervor in die Höhe geschleudert worden zu sein, begleitet von einem mächtigen Schwung und mitten hinein in das grünliche Flirren.
In seiner Farbe ebenfalls grün, aber trotzdem dunkler, hob er sich viel besser vor dem Hintergrund ab und kam mir vor wie eine in die Nacht hineingestoßene Projektion.
Es war der zentrale Punkt einer tödlichen Gefahr für die kleine Insel vor der französischen Küste.
Der Plan des Druiden war nicht aufgegangen, man hatte ihn enttäuscht, und er würde versuchen, sich dafür zu rächen.
Die Bewohner des kleinen Dorfes ohne Namen hatten die magische Zone längst bemerkt. Stellte sich die Frage, ob sie auch den beiden Frauen aufgefallen war.
Ich rammte die Haustür so hart und laut nach innen, dass Großmutter und Enkelin zusammenschraken und mich aus großen Augen ängstlich anschauten.
Zeit für lange Erklärungen hatte ich nicht.
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