0637 - Nackt in die Hölle
noch tiefer geschoben und war so weit, dass sie die Kugel umfasste. Von zwei Seiten berührten ihre Handflächen das Material. Sehr behutsam, damit ihr der Gegenstand nicht entglitt, holte Jane die Kugel aus dem Korb.
Ihre Hände schoben das Stroh zur Seite, und zum ersten Mal konnte Jane die Kugel direkt sehen.
Es stimmte alles. Sie glänzte, denn sie bestand aus Gold und hatte ein dementsprechendes Gewicht.
Noch kniete Jane und hörte Ritchies stöhnendes Atmen. Danach seinen Kommentar. »Ja, du hast es tatsächlich geschafft. Du bist eine besondere Frau, Jane.«
Sie erwiderte nichts und stemmte sich hoch, ohne dabei die Kugel aus der Hand zu geben. Beide Hände hatte sie vorgestreckt, als wollte sie jemandem eine Gabe überreichen.
Mit der Kugel auf den Händen drehte sich Jane um. Sie schaute Ritchie an. »Ich habe sie. Ich halte sie in den Händen, aber ich kenne ihre Bedeutung nicht.«
»Sie gehörte den beiden Frauen.«
»Und weiter?«
»Damit wollten Mutter und Tochter das Höllenfeuer löschen und dem Teufel eins auswischen.«
»Was sie nicht schafften«, murmelte Jane. »Ihr Tod hat es leider bewiesen.«
»Das stimmt.«
Jane stellte keine weiteren Fragen und konzentrierte sich einzig und allein auf die Kugel. Sie drehte sie auf ihren Handflächen, und über ihr Gesicht glitt ein Lächeln. Schon beim ersten Kontakt hatte Jane den Gegenstand nicht als feindlich empfunden. Eher das Gegenteil traf zu. Es schien ihr, als hielte sie etwas, das sie schon lange gesucht hatte.
»Wie fühlt sie sich an?«, wollte Ritchie wissen.
»Nicht kalt, eher warm: Eigentlich wunderbar. Es könnte Leben in ihr stecken.« Jane hatte den letzten Satz nicht ohne Hintergedanken gesagt, und Ritchie sprang sofort darauf an.
»Ja, das ist so. In ihr steckt das Leben der beiden Getöteten. Die Kugel hält ihre Seelen fest. Sie haben es nicht geschafft, das Höllenfeuer zu löschen, aber sie haben lange darauf gewartet, dass jemand kommt, der diese Aufgabe übernimmt.«
»Das bin ich.«
»Richtig. Die goldene Kugel hat auf dich gewartet. Sie enthält die Seelen der beiden guten Hexen, die damals vom Pöbel verkannt und zur Hölle geschickt worden sind. Doch der Teufel irrte. Er hat nur einen Teilsieg errungen, zu etwas anderem war er nicht fähig. Jetzt liegt es allein an dir, ob du das Feuer löschen willst oder nicht. Es ist dein Spiel, Jane.«
»Ich - ich weiß es nicht. Um das Feuer zu löschen, müsste ich es zunächst sehen.«
»Das stimmt schon. Es sind auch noch andere Bedingungen zu erfüllen, meine Liebe. Du musst dich von allem Störenden befreien, das dich irgendwie hindern könnte. Du musst den Weg unbekleidet gehen. Körper und Geist müssen frei sein, wenn du dem Feuer entgegentrittst. So schreiben es die alten Gesetze vor, denen auch du dich nicht entziehen kannst, Jane. Richte dich danach. Entledige dich deiner Kleider, geh als reine Person den Weg, den du gehen musst.«
Jane hatte Ritchie während seiner Erklärungen angeschaut. Sie wusste nicht, ob sie ihm trauen konnte. Bisher hatte er nicht falsch gespielt. Es war alles eingetreten, was Ritchie beschworen hatte.
Welche Rolle er jedoch tatsächlich spielte, das wusste auch sie nicht. Er konnte ebenso gut auf der anderen Seite stehen, denn er hatte diese Szenen hier geschaffen und war möglicherweise ihr Feind.
»Jetzt traust du mir nicht - oder?«
»Ich denke über dich nach!«
»Das kann ich mir vorstellen, aber es gibt keinen anderen Weg. Es gibt auch kein Zurück. Mutter und Tochter haben dich ausgesucht, um ihre Arbeit fortzuführen, danach solltest du dich richten, Jane, und an nichts anderes denken. Vergiss alles! Konzentriere dich einzig und allein auf deine Aufgabe, die du bis zum bitteren Ende durchführen musst. Wenn du dazu bereit bist, wird sich der Weg für dich öffnen.«
»Ich hätte noch eine Frage, Ritchie.«
»Stelle sie.«
»Was tust du dabei? Welche Rolle hat man dir in diesem Spiel zugedacht? Bist du nur der Wegweiser?«
»Höchstens«, erwiderte er. »Aber das ist schon zu viel gesagt. Ich kann dich nur hinführen, später muss ich dich allein lassen, denn in mir schlummern die Kräfte nicht. Du hast den Ruf empfangen, jetzt folge ihm bis zum Ende.«
»Auch in den Tod?«
Ritchie hob die Schultern. »Ich weiß es nicht, aber es ist ein sehr gefahrvoller Weg, das stimmt schon. Der Teufel hat seine Fallen überall aufgebaut.«
Jane nickte, obwohl sie es nicht wollte. Sie schaute in die andere Richtung, wo eine Mauer den
Weitere Kostenlose Bücher