064 - Das Steckenpferd des alten Derrick
um einige Einkäufe zu machen. Morgen früh fahre ich zurück.
London fällt mir auf die Nerven.«
»Haben Sie je etwas davon gehört«, fragte Staines plötzlich, »daß Sie eine Doppelgängerin haben?«
»Nein. Gibt es wirklich irgendwo in der Welt zwei Personen, die sich völlig gleichen?«
»Sie haben möglicherweise nicht nur eine, Sondern zwei Doppelgängerinnen. Lordy Brown wird Ihnen das bestätigen können. Er verwechselte Sie mit Mary de Villiers, einem Mädchen, das er in Südafrika kennengelernt haben will. Sie waren doch nie dort unten?«
Zu seiner Überraschung bejahte sie die Frage.
»Bis vor zwei Jahren wohnte ich dort.«
»Als Krankenpflegerin? Dazu waren Sie damals ja noch gar nicht alt genug!«
Sie kicherte vor sich hin.
»Sie wollen mir wohl Komplimente machen, Mr. Staines? Ich wollte, ich wäre dem Menschen nicht begegnet. Er macht mir Sorge.«
Warum sorgte sie sich eines Menschen wegen, dem sie angeblich heute abend zum erstenmal begegnet war?
»Es berührt mich merkwürdig, daß Lordy Brown vorgibt, Derrick zu kennen«, sagte er.
Er mußte die Bemerkung wiederholen, bis sie auf den Köder anbiß.
»Mr. Derrick? Ach so, der Mann mit dem gelben Rolls-Royce!
Ist er denn gegenwärtig in London?« ' »Nein, in Sussex, auf seinem Landgut.«
»Der Glückliche!«
»Warum nennen Sie ihn so?«
»Sie gelten doch als klug, nicht wahr, Mr. Staines?« fragte sie ironisch zurück.
»Ist es denn nicht ein Glück, einen Freund wie Lord Brown aus Kapstadt zu besitzen? Scherz beiseite, Mr. Staines - werden Sie ihn heute abend noch treffen? Fragen Sie ihn doch bitte, wer die Mary de Villiers ist, die er vorhin erwähnte und mit der er mich anscheinend verwechselte. De Villiers? Kein seltener Name dort unten. Ich kenne verschiedene Leute in Kapstadt, die so heißen. - Haben Sie wieder einmal Ihren Bleistift verloren, Mr. Staines?«
Erst diese Frage erinnerte ihn wieder an die Auskunft des alten Baumeisters.
»Noch vor einigen Stunden glaubte ich tatsächlich, ihn wieder einmal verloren zu haben, als ich Neues von Ihrer Doppelgängerin vernahm. In Wandsworth wohnt ein ehemaliger Baumeister - Ellington heißt er -, den vor einigen Tagen eine Dame besuchte. Sie sah genauso aus wie Sie, Miss Däne. Außerdem hat sie, wie Mr. Ellington erwähnte, einen Füllstift benutzt, der meinem zum Verwechseln ähnlich sieht. - Meine Mitteilung scheint Sie sehr zu amüsieren?« fragte er, als er sie lachen sah.
»Ich könnte mich totlachen. Da - sehen Sie...« Sie öffnete ihre Handtasche und entnahm ihr einen Stift, der dem seinen wie ein Ei dem ändern glich. »Heute morgen habe ich ihn mir in der Regent Street gekauft. Ich hätte tausend davon kaufen können. Der Laden verkauft nichts anderes als Füllstifte und Füllfederhalter. Auch im Zug saß ein Herr, der genau den gleichen Stift hatte. Wo haben Sie eigentlich Ihren her?«
»Nun, das heißt - eigentlich gehört er gar nicht mir«, stotterte Dick verlegen, »Tommy hat ihn mir an dem Tag, als wir nach Brighton fuhren, ausgeliehen, und ich vergaß einfach, ihn zurückzugeben.«
»Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen ein so privates Geständnis entlockt habe!« lachte sie. »Aber Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen - das Ding ist nicht einmal aus Gold. Die Stifte kosten genau sieben Shilling und sechs Pence, nicht mehr und nicht weniger. Eine Frage, Mr. Staines!«
»Alles, was Sie wollen!« erwiderte er galant. Sie blickte ihn, wieder ernst werdend, an. »Was für ein Geheimnis tragen Sie eigentlich in Ihrem Herzen, Mr. Staines? Was wollen Sie mit Ihrer Frage, ob ich wisse, daß ich Doppelgängerinnen habe? Miss Villiers wäre die eine, nicht wahr? Und die zweite? Hat man etwa in meiner Maske ein Verbrechen begangen? Kamen Sie wirklich nach Brighton, um mich zu verhaften?«
»Wie kommen Sie auf diese ausgefallene Idee?« wich er aus. »Bitte, antworten Sie mir ohne Ausflüchte, Mr. Staines. Ich wußte sofort, was Sie von mir wollten, als ich Sie damals so plötzlich auf dem Maskenball auftauchen sah. Nur einen kurzen Augenblick lang glaubte ich, die Sehnsucht, mich wiederzusehen, habe Sie bei Nacht und Wetter auf die Landstraße getrieben, doch merkte ich bald, daß Sie kamen, um mir eine Falle zu stellen.«
»Haben Sie eine Schwester?« fragte er, ohne auf ihre Äußerungen einzugehen.
»Ja, eine von zwölf Jahren, die mir aber gar nicht ähnlich sieht. Sie ist viel brünetter. Klug ist sie, weil sie meine Schwester ist, aber nicht klug genug, um
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