064 - Das Steckenpferd des alten Derrick
Zimmermädchen mit, »und bat, Ihnen diesen Brief auszuhändigen.«
Wie genau Mary gewußt hatte, daß er sie besuchen würde! Der Brief verbesserte Dicks Laune nicht.
»Mein lieber Mr. Staines, ich mußte leider abreisen, ohne Ihren vermuteten Besuch abwarten zu können. Man hat mich heute morgen von Littlehampton angerufen, daß der Zustand von Mr. Cornfort ernster geworden sei. Vielleicht essen wir ein andermal zusammen? Ihre Mary Dane.‹
Dick betrachtete den Brief als reinen Hohn, und er ärgerte sich wirklich darüber.
»Der Teufel soll alle Weiber holen!« murmelte er wütend vor sich hin, als er das Hotel verließ.
Den Rest des vergällten Tages brachte er damit zu, zum soundsovielten Male die Aktenstücke zu studieren, die den Raubmord von Slough behandelten. Er entnahm ihnen auch diesmal nichts Neues. Doch der Hergang des Verbrechens fesselte ihn immer wieder von neuem.
Ein gewisser Carter hatte aus Richtung Maidenhead ein Motorrad heranrasen sehen. Der Fahrer trug eine braune Lederjacke, seine Augen waren hinter dunklen Schutzgläsern verborgen. Seine Größe konnte der Zeuge nicht angeben, da er den Täter nur auf dem Rad sitzend gesehen hatte. Der Ermordete, vierzig Jahre alt, war des öfteren ermahnt worden, die Gelder nicht allein zu holen, doch hatte er alle Mahnungen in den Wind geschlagen. Auch am Morgen der Tat war er wieder allein zu Fuß zur Bank gegangen, um sechshundert Pfund Lohngelder abzuholen. Der vom Zeugen Carter beobachtete Motorradfahrer hatte gegenüber der Bank angehalten und sich, ais wolle er einen aufgegangenen Schnürriemen binden, niedergebeugt. Als der Geldbote sich auf gleicher Höhe mit dem Täter befand, hatte dieser plötzlich eine Pistole gezogen, den Unglücklichen niedergeschossen und ihm die Aktenmappe entrissen, um gleich darauf, unter den Blicken der entsetzten Passanten, zu verschwinden. Die Mordwaffe hatte er, als er sich der Aktentasche bemächtigte, fallenlassen. Obwohl die Verfolgung sofort mit allen verfügbaren Kräften aufgenommen worden war, blieb sie völlig ergebnislos. Der Fingerabdruck auf dem Pistolenlauf war und blieb die einzige greifbare Spur vom Täter. Wahrscheinlich gehörte er den besseren Kreisen an und hatte seine Flucht ins Ausland ungehindert bewerkstelligen können.
Das war der Mord von Slough, wie er sich Staines nach eingehendem Studium aller Zeugenaussagen darstellte. Viel war damit nicht anzufangen.
So hoch die Wogen der Empörung über den brutalen Mord damals auch schlugen - brauchbare Hinweise aus dem Publikum waren keine eingegangen, und selbst die üblichen unterirdischen Informationsquellen, auf die keine Polizei der Welt verzichten kann, hatten sich als unergiebig erwiesen. Der Täter blieb verschwunden.
Dick hatte eben das Aktenstück in die Registratur zurückbringen lassen, als sein Telefon klingelte.
»Sind Sie es, Staines?«
Es war Walter Derricks Stimme.
»Ja, hier Inspektor Staines. Gibt es etwas Neues?«
»Nein, Gott sei Dank nicht. Ich rufe nur an, um Sie einzuladen, morgen oder übermorgen das Wochenende bei mir in Godalming zu verbringen. Ja, Weald will auch kommen. Nein, nur wir drei, sonst niemand. Sie werden sich zwar langweilen, aber dafür ist es herrlich hier draußen. Also, kommen Sie - ja?«
Dick hatte nichts Besonderes vor und nahm die Einladung an.
Er wollte schon aufhängen, als er sich der Begegnung mit Lordy entsann.
»Ich traf gestern einen alten Freund von Ihnen, Derrick!« »Einen alten Freund von mir? Wer soll denn das gewesen sein?«
Die Frage klang verwundert.
»Ich gebe Ihnen morgen einen genauen Bericht - jedenfalls war es ein ganz merkwürdiges Pflänzchen.«
»Dann scheint es sich doch um einen Freund von mir zu handeln!« lachte Derrick. »Männlich oder weiblich? Oder gar mein Familieneinbrecher?«
»Nein, so interessant ist der Mann doch wieder nicht.«
Bevor Staines London verließ, erkundigte er sich bei der ›Union Castle Line‹, ob Lordy Brown wirklich Passagier der ›Glamis Castle‹ gewesen sei. Weder in den Listen dieses Schiffes noch der anderen, die in den letzten Wochen von Kapstadt in London eingetroffen waren, fand er den gesuchten Namen. Brown mochte es wohl für richtiger gehalten haben, inkognito zu reisen, um die dortige Polizei über seine Absichten im unklaren zu lassen. Kapstadt wurde seit Monaten von einer wahren Einbruchsepidemie heimgesucht, und so war es leicht möglich, daß Lordy Brown der Boden Südafrikas zu heiß geworden war und er ein ihm
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