064 - Das Steckenpferd des alten Derrick
Zeit kein Wort. Endlich brach sie das Schweigen.
»Kommen Sie, wir wollen uns hier auf den Rasen setzen - die Leute werden zwar denken, wir seien ein Brautpaar, aber Sie werden hoffentlich auch darüber hinwegkommen!«
Er vermutete, daß sie das Thema ganz bewußt aufs Tapet brachte, lehnte es jedoch ab, darauf einzugehen.
»Warum wollen Sie mich sprechen, Mr. Staines?« fragte sie, als er den Köder nicht aufnahm.
»Warum baten Sie mich vor einigen Tagen, Sie zum Bahnhof zu begleiten?«
Sie zupfte, ohne aufzublicken, einige Halme ab. »War meine Bitte so ungewöhnlich, daß Sie mich nach dem Grund fragen müssen? Warum sollte ich Sie nicht um Ihre Begleitung bitten?«
»Während meiner Abwesenheit wurde in Derricks Haus eingebrochen. Man hat beträchtliche Verwüstungen angerichtet. Wahrscheinlich suchte man nach verborgenen Schätzen. Die Einbrecher müssen, mit einer einzigen Ausnahme, die gleichen Leute gewesen sein, die früher schon dasselbe versucht hatten. Nur - die Dame, die das Parfüm ›Sant Atout‹, benutzt, war jedenfalls nicht dabei.« »Sie meinen wohl mich?« fragte sie. »Wollen Sie ernstlich behaupten, ich hätte Sie mit meiner Bitte um Ihre Begleitung absichtlich vom Haus weggelockt, um den Einbrechern - meinen Freunden wohl, nicht wahr? - Gelegenheit zu geben, ungestört ihre Arbeit verrichten zu können?« Er schwieg.
»Ist das Ihre Vermutung?« beharrte sie.
»Ich vermute gar nichts -«, sagte er endlich, »ich fragte Sie nur, ob . . .«
»Ja, ich weiß. Sie fragten mich, warum ich Sie gebeten habe, mich zum .Bahnhof zu begleiten. Ist die Erklärung nicht klar genug?«
»Nein. Ich will mehr wissen, Miss Dane.« Er geriet nachgerade in eine Stimmung, die der Verzweiflung ziemlich nahe war. Er wunderte sich, warum er diesem Mädchen gegenüber, der Braut eines anderen, noch Rücksichten walten ließ. »Immer und überall treffe ich in London, ja in ganz England, auf Sie oder Ihre Doppelgängerin. Ich hege den Verdacht - ja, es ist ein Verdacht, Miss Dane - daß Sie irgendwie mit dem Einbrecherteam in Verbindung stehen. Warum und zu welchem Zweck, das vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein, Mary ...« Er legte seine Hand auf die ihre, und sie ließ es geschehen. »Nicht als Kriminalbeamter, sondern als - Freund. Wenn Sie sich wirklich, aus Abenteuerlust oder aus anderen Gründen, auf dieses heiße Pflaster begeben haben sollten ... «
»Ich oder meine Doppelgängerin?« unterbrach sie ihn. »Oder Ihre Doppelgängerin -«, räumte er ein. »Wenn Sie verhaftet würden, wäre es für mich zu spät, einzugreifen. Jetzt aber sind mir die Hände noch nicht gebunden. Ich kann alle Gefahren noch von Ihnen abwenden. Schenken Sie mir doch ein wenig Vertrauen!«
Sie blickte auf die sich vor ihnen ausdehnende Wasserfläche und schüttelte mutlos den Kopf. Plötzlich sah sie ihm in die Augen.
»Sie haben das Recht, von mir Vertrauen zu verlangen - aber ich darf es Ihnen nicht schenken.«
Er war starr. Da fiel sein Blick auf den kleinen Ring, den sie am Finger trug. Er hatte ihn noch nie an ihr gesehen.
»Tommy hat mir sein Glück gebeichtet -«, sagte er zögernd, »er ist ein netter Kerl... «
»Reich?«
Die Frage kam so kaltblütig und unvermutet, daß er einen Augenblick sprachlos war.
»Ja, das ist er - und er wird, wenn einige seiner Erbtanten sterben, noch viel reicher sein.«
»Sie schämten sich wohl für mich wegen meiner Frage? Aber finden Sie nicht, daß - wäre er reich und ich wirklich seine Braut - ich die größte Idiotin sein müßte, wenn ich mich in verbrecherische Abenteuer einließe?« Sie blickte auf ihren Verlobungsring. »Sie halten mich wohl für eine ausgemachte Kokotte, nicht wahr? Nun, Sie wissen ja aus Erfahrung, wie selbstbeherrscht ich bin.«
»Ja, die Erfahrung machte ich verschiedentlich«, sagte er unbestimmt und erhob sich.
»Aber der beste Beweis, daß ich Selbstbeherrschung besitze, ist die Tatsache, daß ich diesen Ring noch nicht dort ins Wasser geschleudert habe. Diesen einen Punkt müssen Sie mir wenigstens zugute halten.« Sie klopfte ihm auf den Arm.
Alles, was sie bisher getan hatte, war genauso unerwartet gewesen wie ihre Worte. Sie brachte es jedesmal fertig, ihn immer von neuem an der Nase herumzuführen. »Nun gehen Sie, Mr. Staines, Sie haben gerade noch Zeit, in Westgate Ihren Zug zu erreichen. Ich fahre mit dem Taxi zurück. Tommy bekommt in mir eine richtige Verschwenderin zur Frau.« Plötzlich klang ihre
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