0640 - Das Blut-Rätsel
ich zu viel erlebt. Auch noch in den letzten Minuten, als ich nach unten fuhr. Im Lift erschien ein Dämon. Blut floss von der Decke. Das ist alles nicht normal, dafür will ich eine Erklärung haben.«
»Auf dem Friedhof.«
»Warum gerade ich?«
»Weil Sie es schaffen können.«
»Danke.«
Sie nahm das Messer zur Seite. »Wenn es Ihnen so lieber ist, bitte. Aber fahren Sie.«
»Gleich. Ich habe nur noch eine kleine Frage. Man hat das Blut untersucht. Es ist ungefähr hundertfünfzig Jahre alt. Also müsste die Person, die in ihrem Stuhl durch einen Messerstich in den Rücken starb, ebenfalls so alt gewesen sein.«
»Na und?«
»Darf ich mal Ihren Rücken sehen, bitte schön?«
Ich brauchte einfach einen endgültigen Beweis und war gespannt, wie die Person reagieren würde.
Noch zögerte sie. Schließlich nickte sie und beugte sich nach vorn, dem Armaturenbrett zu. Es geschah langsam, als wollte sie jede Bewegung genießen.
Ich sah den Rücken, den weißen Kleiderstoff, der sich darüber spannte - und den roten Fleck, den das aus der Wunde gequollene Blut hinterlassen hatte.
»Nun?«
»Ja, es stimmt.«
Ich hörte ihr leises Lachen. »Haben Sie geglaubt, dass ich Sie belogen hätte?«
»Ich war mir jedenfalls nicht sicher.«
Sie lehnte sich wieder zurück. »Und jetzt suchen Sie nach einer Erklärung, nicht wahr?«
»So ist es nicht, denn die habe ich bereits gefunden. Ich zähle Sie zu einer Gruppe der lebenden Toten. Es gibt auch einen anderen Namen dafür: Zombie.«
Sie blieb sitzen, starr, legte dann das Messer auf ihre Oberschenkel und lachte mich aus.
Ja, sie lachte mich aus, hatte den Mund weit aufgerissen, sodass er mit seinen geschminkten Lippen wirkte wie eine große, offene Wunde. Sie hatte ihren Spaß, ich weniger.
»Hören Sie auf!«
Tatsächlich brach ihr Lachen ab. »Sinclair, ich verstehe Sie nicht. Sie machen es sich unnötig schwer.«
»Das sehe ich nicht so.«
»Hören Sie, und schauen Sie mich an dabei. Sehe ich wirklich aus wie ein Zombie?«
»Nicht alle Zombies sehen so aus wie die tumben Gestalten aus dem Kino.«
»Das mag sein. Doch es gibt für Zombies bestimmte Merkmale, oder etwa nicht?«
»Da kann ich nicht widersprechen.«
»Atmen Zombies?«
»Wohl kaum.«
»Aber ich atme. Bin ich dann ein Zombie?« Sie drehte mir ihr Gesicht zu. Der angespannte Ausdruck ließ darauf schließen, dass sie auf eine Antwort wartete.
»Ich weiß es nicht.«
Sie konnte nicht anders und musste lachen. »Einen ratlosen Geisterjäger habe ich auch noch nicht erlebt. Ich habe mehr von Ihnen gehalten, wirklich.«
»Man ist oft enttäuscht. Bleibt es denn dabei, dass wir zum Friedhof fahren?«
»Selbstverständlich.«
»Und dort werden Sie beerdigt?«
»So ist es.«
Cynthia hatte dies mit einer Sicherheit gesagt, die mich erschreckte. Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Nach einer Weile fragte ich: »Wollen Sie sich als lebendige Person begraben lassen? Lebendig begraben? Wissen Sie, was das bedeutet?«
Ein geheimnisvolles, sphinxhaftes Lächeln umzuckte ihre Lippen, doch eine Antwort gab sie mir nicht. Klar, sie wolle fahren, ich ebenfalls, aber es standen noch Fragen offen, auf die ich gern Antworten gehabt hätte. So erkundigte ich mich noch einmal nach dem dämonischen Geschöpf, das ich im Schacht gesehen hatte.
»Welches Wesen?«
Ich fügte eine knappe Beschreibung hinzu. »Eigentlich müssten Sie es kennen, Cynthia.«
»Ich möchte es sehen.«
»Es ist verschwunden.«
Sie hob ihre Schultern. »Wer weiß, John Sinclair, wer weiß. Vielleicht begegnet uns dieses Wesen noch einmal. Möglich ist alles, das können Sie mir glauben.«
Obwohl mir diese ausweichende Erwiderung überhaupt nicht gefallen hatte, ließ ich das Thema fallen. Diese Person würde nur das sagen, was sie wollte.
Als ich startete, fragte sie: »Den Weg kennen Sie?«
»Ich denke schon.«
»Dann bitte…« Wieder umspielte das rätselhafte Lächeln ihre Lippen. Ich war mir sicher, dass Cynthia Manson noch mit einigen deftigen Überraschungen aufwarten würde…
***
Wir hatten ziemlich lange gebraucht, um unser Ziel zu erreichen, waren über die Upper Richmond Road gefahren und in die Nähe der Königlichen Botanischen Gärten gelangt, einer großen Grünfläche, die unter anderem auch das Kew Observatorium beherbergte.
Die gesamte Fahrt über hatte Cynthia kein Wort geredet und auf jede Frage geschwiegen. Schließlich war ich es leid und stoppte am Rand des Gartens.
»So, wir sind zumindest in der
Weitere Kostenlose Bücher