0641 - Grabgesang
Seiner Majestät ist als Hochverrat zu bewerten«, fuhr er dann frostig fort. »In Anbetracht der Tatsache verurteile ich diese beiden Personen zum Tode. Das Urteil wird am kommenden Abend durch Erschießen vollstreckt. Die Tatsache, daß der eigentliche Attentäter eine Frau ist, wird durch die Schwere der Tat ausgeglichen. Der Mann wird wegen Mittäterschaft normal bestraft. Abführen!«
»He, wartet mal«, verlangte Zamorra. »Das ist illegal, was Ihr hier durchführt, Kommandant. Wir haben Anspruch auf eine gerichtliche Untersuchung. Dabei wird sich herausstellen, daß es weder Zeugen noch Beweise für einen vermeintlichen Angriff auf Euch gibt.«
»Eine gerichtliche Untersuchung? Vielleicht sogar noch einen Rechtsverdreher, wie?« Der Kommandant lachte spöttisch auf. »Was glaubt Ihr eigentlich, wo Ihr hier seid? In Frankreich? Ihr seid hier inmitten von Wildnis und Bedrohung durch Spanier, Engländer und Eingeborene. Das hier ist ein Vorposten der Zivilisation; hier herrschen Extrembedingungen. Nicht zu vergleichen mit der alten Heimat. Ihr seid Attentäter. Ihr seid eine Bedrohung der Sicherheit. Also reicht es völlig, wenn ich Euch zum Tode verurteile. Eure Schuld steht fest. Wozu bedarf es da noch einer - wie sagtet Ihr doch so schön in Euren wohlgesetzten Worten - einer gerichtlichen Anhörung? Das wäre Zeitverschwendung. Also in den Kerker mit Euch. Heute abend wird man Euch hinrichten. Das ist alles an Zivilisation, das Ihr hier zu erwarten habt -immerhin könnte ich Euch auch gleich jetzt hier erschießen lassen, statt Euch, menschenfreundlich wie ich bin, noch einen Zeitaufschub zu gewähren, damit Ihr Euren Frieden mit Gott machen könnt.«
»Menschenfreundlich nennt dieser Bastard das!« entfuhr es Nicole. »Hast du das gehört, Chef? Menschenfreundlich… Ich lach' mir ’nen Ast und setz' mich drauf.«
»Hoffentlich bewahrt Ihr Euren Humor auch noch, wenn Ihr in die Mündungen der Musketen schaut«, sagte der Kommandant. »Und jetzt aus meinen Augen!«
Er gab den Soldaten einen Wink, die die ganze Zeit über die beiden Gefangenen bewacht und mit ihren Waffen bedroht haften.
Ein paar Minuten später fanden Zamorra und Nicole sich in ihrer Gefängniszelle wieder. Man verzichtete darauf, sie ihres Geschlechts wegen in unterschiedlichen Räumen einzusperren. So weit ging die Menschenfreundlichkeit in diesem Vorposten der Zivilisation offenbar doch nicht.
Den beiden konnte das nur recht sein. Solange sie zusammenblieben, konnten sie sich wenigstens noch gegenseitig helfen.
Der Raum war primitiv. Holzwände, festgestampfte Erde als Boden, ein vergittertes Fenster und eine Tür aus Eisengittern, die jedem erlaubte, jederzeit von draußen hereinzuschauen und zu sehen, was die Gefangenen taten.
Ob sie auf den harten Pritschen schliefen, wach waren, oder die aus einem einfachen Holzeimer bestehende Toilette benutzten…
Draußen langweilten sich zwei Wachposten.
»Ich hätte da eine Idee«, flüsterte Nicole, die bemerkte, daß die beiden Männer immer wieder speziell zu ihr herüber schauten. Daß sie eine Frau war, machte sie für die Soldaten interessant. Sie versuchten sich wohl vorzustellen, wie Nicole unter ihrer Männerkleidung aussah…
»Den Jungen kann geholfen werden«, fuhr Nicole im Flüsterton fort. »Ich lege einen scharfen Striptease hin und animiere sie dazu, die Zelle zu betreten. Sie sollen glauben, sie dürften mich vernaschen, so als eine Art alternativer Henkersmahlzeit für mich. Sie werden unaufmerksam sein, und wir könnten sie überrumpeln.«
»Du vergißt dabei, daß ich mit dir zusammen in dieser Zelle bin«, sagte Zamorra. »Wenn sie wirklich auf deine Vorstellung hereinfallen, werden sie natürlich dafür sorgen, daß ich sie nicht stören kann. Sie werden mich niederschlagen.«
»Traust du mir neuerdings nicht mehr zu, allein mit ein paar Dummköpfen fertig zu werden?« raunte Nicole.
»Ich traue vor allem meinem Kopf zu, daß er sehr bedingt mit Schlägen belastbar ist«, sagte Zamorra. »Und gerade nach dieser so menschenfreundlichen Schnellgerichts-Farce traue ich den Herrschaften keine besondere Rücksichtnahme zu. Könnte sein, daß sie der abendlichen Volksbelustigung etwas vorgreifen und mich ein wenig erschlagen. Dem Kommandanten sagen sie dann, ich hätte mich so stark gewehrt, daß sie mich in Notwehr abmurksen mußten.«
»Du bist wieder mal sehr egoistisch«, behauptete Nicole. In ihren Augen funkelte es. Die lockere Art, wie sie redete, zeigte,
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