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0641 - Grabgesang

0641 - Grabgesang

Titel: 0641 - Grabgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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nicht, und es könnte sein, daß ich es nicht verhindern kann, weil ich diese Kraft nicht beherrsche… Nein, das werde ich niemals tun!«
    »Du wirst es lernen müssen«, drängte er.
    »Und in Versuchung geraten, das, was ich kann, irgendwann doch zu mißbrauchen? Für den Moment aufwallender, unkontrollierter Gefühle? Ganz ohne wirkliche Absicht, nur im Affekt?«
    »Du denkst weit für dein Alter«, sagte Merlin.
    »Ich war schon älter…«
    Er hob die Brauen. »Was sagst du da? Was weißt du darüber?«
    »Nichts. Ich… habe ich das gerade wirklich gesagt?« Auf ihrer Stirn erschienen Falten, als sie angestrengt nachdachte.
    »Was geschieht mit mir, Merlin?« fragte sie leise. »Ich habe getötet. Niemand tötet in Broceliande einen anderen. Ich will kein Leben zerstören. Und doch tat ich es.«
    »Ungewollt«, sagte er. »Weißt du, auch ich wollte nie töten. Aber ich habe es getan, ich mußte es tun, oft. Sehr oft. Ich habe sehr viele Leben zerstört. Es gab keinen anderen Weg. Manches Leben, das ich löschte, war böse, aber auch viele gute Leben sind auf meinem Konto. Damit muß ich mich abfinden. Ich muß Entscheidungen treffen. Ein Leben gegen ein anderes. Wenige Leben gegen viele.«
    »Ich will das nie tun müssen.«
    »Niemand kann sich aussuchen, was geschehen wird«, sagte Merlin. »Einst verließ ich die Welt, die meine Heimat war, weil ich nicht mehr töten wollte. Doch ich mußte weiter töten. Aus anderen Motiven heraus. Keiner entflieht seinem Schicksal.«
    »Und mein Schicksal soll es sein, andere zu töten, indem ich ihnen ihre Magie nehme? Wesen, deren ganze Existenz auf Magie beruht?«
    »Das ist sicher nicht deine Bestimmung«, erwiderte Merlin.
    »Aber was dann?«
    Merlin lächelte.
    »Du bist etwas ganz anderes«, sagte er leise. »Etwas ganz Neues. Etwas, das zu anders und zu gut ist für diese Welt…« Das Erinnerungsbild erlosch jäh.
    ***
    Nur ein paar Sekunden konnte dieser Flashback gedauert haben. Als Eva aus ihrer traumähnlichen Erinnerung in die Wirklichkeit zurückkehrte, hatte sich das Szenario um sie herum nicht verändert.
    Fassungslos starrten die Männer sie an, bestürzt über ihre Wehrhaftigkeit. Eva selbst natte bei dem Kampf nicht einmal einen Kratzer abbekommen.
    Plötzlich ertönte ein lauter Ruf, der die Männer abermals zusammenfahren ließ. Jemand polterte mit schweren Schritten heran: der Kapitän des Schiffes.
    Er mußte es sein. Die bärbeißigen Matrosen duckten sich vor ihm.
    »Was ist hier passiert?« donnerte er. »Habt ihr keine Arbeit?«
    »Die Frau«, stammelte Jaime. »Sie hat uns bedroht! Schau dir an, Herr, was sie getan hat! Mich und die anderen verletzt, Franco und den Holländer hat sie erschlagen!«
    »Sicher nicht völlig grundlos«, murmelte der Kapitän. Laut fuhr er fort: »Verschwindet jetzt. Geht an eure Arbeit, ehe ich auf den Gedanken kommen könnte, euch auspeitschen zu lassen! Halt - du und du«, er deutete auf zwei der Männer, »ihr räumt hier auf. Die Toten über Bord, danach soll der Schiffsjunge das Blut von den Planken schrubben, ehe es den Klabautermann anlockt mit seinem Geruch!«
    »Die Toten über Bord?« fragte einer der anderen heiser. »Einfach so, Herr?«
    »Hast du nicht gehört, was ich sagte? Über Bord mit ihnen, sofort!«
    »Aber Herr - sie wollen ein anständiges christliches Begräbnis!«
    »Diese Männer sind tot. Sie wollen ganz bestimmt nichts mehr. Also fangt an, oder ich hole doch noch die Peitsche! Wollt ihr, daß der Klabautermann über uns kommt?«
    Er wandte sich Eva zu und streckte die Hand aus.
    »Den Säbel, Mademoiselle«, verlangte er. »Ihr braucht ihn jetzt nicht mehr. Diese Männer werden Euch nicht wieder belästigen.«
    Sie zögerte. Die ganze Sache gefiel ihr immer noch nicht. Sie rechnete mit einer bösen Überraschung.
    »Ihr könnt mir vertrauen«, versicherte der Kapitän. »Ich bin Joaquin Alcolaya. Es gibt keinen Hafen auf der Welt, in dem man mich nicht als einen ehrlichen Mann kennt, dem man vertrauen kann. Gebt den Säbel zurück.«
    »Ich denke gar nicht daran«, protestierte Eva. »Ich bin in Euren Häfen nicht bewandert. Ich muß mich auf meinen eigenen Instinkt verlassen, und der warnt mich vor Euch. Wo ist der Mann, der mich an Bord brachte? Und wer ist er?«
    Der Kapitän schien zu überlegen. Dann trat er wieder einen Schritt auf Eva zu. »Den Säbel - bitte, Mademoiselle.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Beantwortet zuerst meine Frage.«
    »Welche Frage?«
    »Nach dem Mann, der

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