0643 - Das fliegende Grauen
Sultan, er aber hatte sich umdrehen müssen.
Plötzlich lachte er wie ein Kind auf. Auch das Händeklatschen wirkte bei ihm kindisch.
»Da kommt er ja. Da kommt mein Freund. Ihr werdet ihn sehen können. Ja, freut euch.«
Die Frauen schwiegen. Aber beiden brach der Schweiß aus allen Poren, denn die erste fürchterliche Ahnung bestätigte sich bei ihnen zur Gewissheit.
Die dunkel gekleidete Gestalt mit den ebenfalls dunklen Haaren und dem blassen Gesicht schien über dem Boden zu schweben. Bei jedem Schritt, den sie zurücklegte, zeichnete sich das Mal auf ihrer Stirn deutlicher hervor.
Es war ein Buchstabe, blutrot und genau das Zeichen, auf das ein Mann so stolz war.
Das D für Dracula!
Denn dieser Mann hatte die Nachfolge des Blutsaugers angetreten. Er war Dracula II alias Will Mallmann, ehemaliger Kommissar beim deutschen Bundeskriminalamt…
***
Weder Glenda noch Jane brachten es fertig, auch nur ein Wort zu sprechen. Zu schlimm war die Überraschung gewesen, denn mit Will Mallmann hatten sie nicht gerechnet.
Es war das Grauen schlechthin. Der Bote der Finsternis, ein Blutsauger der allerersten Garnitur, ein Wesen, das sich wie ein Mensch bewegte, aber kein Mensch war, sondern ein Geschöpf der Nacht.
Mallmann und der Sultan waren Freunde, arbeiteten zusammen. Glenda und Jane wussten jetzt, wer Abdul Hamid die Bilder gezeigt hatte. Das konnte nur Mallmann gewesen sein.
Hier in der Wüste zog er also seine Fäden. Nach hierher hatte es ihn verschlagen, und beide Gefangenen wurden von einem Schwindel erfasst, der dieses Wissen begleitete. Sie wünschten sich, in ein tiefes Loch zu fallen, alles zu vergessen, nur nichts mehr von diesem fürchterlichen Schrecken zu erleben, der mit jedem Schritt näher an sie herankam und den Tod brachte. Ein bleiches Gesicht unter dem schwarzen Haar, ein grelles und dunkelrotes D auf der Stirn, einen Blutstein als Schutz bei sich tragend, das war Dracula II, wohl der einzige Vampir, dem geweihtes Silber nichts anhaben konnte.
Er kam näher, lächelte schmallippig und genoss es, die Frauen in einer derartigen Lage zu sehen.
Selbst der Sultan schien vor ihm Respekt zu haben, denn er trat zur Seite und nahm wieder seinen Lieblingsplatz ein, um Mallmann das Feld zu überlassen.
Die Harems-Atmosphäre war verschwunden. Mallmann verbreitete die Kälte des Todes, den eisigen Hauch, den jemand nur aus dem Grab mitbringen konnte, der ihn stets unsichtbar, aber trotzdem merkbar begleitete.
Nur zwei Schritte vor den Frauen blieb Mallmann stehen. Glenda war wieder zurückgegangen, damit sie mit Jane Collins auf einer Höhe stand. Sie atmeten schwer, schauten in die Augen des Blutsaugers und entdeckten darin die reine Gier.
Aber Mallmann ließ sich Zeit. Er genoss es, den Schrecken und die Angst zu erleben, wobei er zusätzlich noch eine linkische Verbeugung andeutete, bevor er den Kopf mit den scharf geschnittenen Gesichtszügen anhob, aus dem die leicht gekrümmte Römernase besonders hervorstach.
»So also sieht man sich wieder, ihr beiden. Wie schön für mich, wie schön für uns…«
»Bestimmt nicht!« Jane Collins hatte Mühe, überhaupt zu sprechen. Ihre Kehle saß zu.
»Wieso nicht?« Mallmann lächelte süffisant. »Wollt ihr denn nicht meine Bräute werden?«
»Das hatten wir nicht vor.«
»Doch, Jane Collins, doch. Gerade dich habe ich auserwählt. Bei uns steht noch eine Rechnung offen. Du hast mir damals etwas angetan. Durch dich bin ich nicht mehr an Sinclairs Mutter herangekommen. Etwas, das ich noch nachholen muss. Heute aber ist niemand in der Nähe, der dir und Glenda zur Seite stehen kann, wenn ich mich über euch hermache, um das frische Blut zu trinken.«
»Irrtum, Mallmann du vergisst den Sultan!«
»Tatsächlich?«
»Genau. Wir sind für ihn, hast du das vergessen?« Natürlich wusste Jane, dass ihre Worte auf einem sehr dünnen Boden standen, aber sie wollte Mallmann aus der Reserve locken und alles wissen.
»Er ist mein Freund.« Mallmann schaute zu Hamid hin und lächelte dabei. Der Sultan, der nichts von der Unterhaltung verstand, glaubte, dass lobend über ihn geredet worden war, lächelte ebenfalls und nickte Mallmann freundlich zu.
»Weiß denn dein Freund, mit wem er sich eingelassen hat?«, fragte Jane weiter.
»Er hat Vertrauen zu mir.«
»Aber ist er auch darüber informiert, dass du dich vom Blut anderer Menschen ernährst? Dass du ein Blutsauger bist?«
Der Vampir lächelte kalt. »Muss er das denn, frage ich euch? Ist das
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