0643 - Das fliegende Grauen
schimmerte die Überraschung dieses plötzlichen Bisses, denn damit hatte er auf keinen Fall gerechnet. Ob er wusste, was ihm bevorstand, war ihm nicht anzumerken. Jedenfalls ließ Mallmann ihn nicht los. Seine Lippen klebten am Hals des Mannes, und das untere Gesicht zuckte dabei, als er saugte und den Kopf nickend bewegte.
Glenda verzog die Lippen, als sie die schmatzenden Geräusche wahrnahm. Saugen und Schmatzen, das war es, was die Blutsauger von sich gaben, wenn sie an ihren Opfern hingen.
Sie wäre für ihr Leben gern weggelaufen, aber sie war nicht in der Lage, sich von der Stelle zu bewegen. Etwas zwang sie, stehen zu bleiben und gleichzeitig den Vorgang zu beobachten.
Anders Jane.
Sie hatte sich bereits auf die veränderte Situation eingestellt, huschte auf den Tisch zu, wo die Waffen lagen, und riss die beiden Revolver an sich.
Einen warf sie Glenda zu. Die reagierte nicht schnell genug. Der Revolver fiel zu Boden und rutschte auf ein Kissen, wo er liegen blieb. Glenda bückte sich, hob die Waffe auf, zielte unbewusst auf Mallmann, ohne allerdings zu schießen.
Der Vampir saugte noch immer. Seine Haltung blieb gebückt, nur die des Sultans hatte sich verändert, denn er war zur Seite gesunken und wäre aus dem Sessel gekippt, hätte ihn Will Mallmann nicht gehalten. Die Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, die Brille verschwunden. Das kostbare Stück lag in der Nähe, von keinem mehr beachtet. Von nun an würde Abdul Hamid andere Sorgen haben. Als Vampir brauchte er Blut, um seine Kraft zu erhalten.
Glenda schlich auf Jane Collins zu. »Was sollen wir denn jetzt tun? Fliehen?«
»Sicher.«
»Weißt du auch wohin?«
»Raus aus dieser verdammten Oase.«
»Klar, die Wächter…«
»Wir müssen uns irgendwo verstecken, Glenda. Vielleicht gibt es Stellen, wo wir das können.«
»Man wird uns finden!«, flüsterte Glenda. »Die Vampire riechen doch genau, wo sie hingehen müssen.«
»Ich weiß es doch auch nicht.« Jane atmete heftig. »Es kann sein, dass nicht alle zu den Vampiren gehören. Die müssen wir finden und mobilisieren. Es gibt hier bestimmt einen Fuhrpark, denn zu Fuß wird wohl keiner das Gelände hier verlassen und durch die Wüste wandern. Einen anderen Plan habe ich nicht. Du?«
»Nein.« Glenda strich sich über die Stirn. »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Ich habe schließlich einiges hinter mir. Gefährliche Abenteuer, aber jetzt…«
»Nicht in Form?«
»So ungefähr.«
Jane wollte Glenda anfassen und sie auf die Tür zuziehen, als sich Mallmanns Lippen mit einem letzten schmatzenden Laut vom Hals des Opfers lösten und er aufschaute. Auf seiner Stirn trat das D überdeutlich hervor, als wollte es dokumentieren, dass der Körper wieder mit Blut gefüllt war.
Die gesamte Umgebung des Mundes war blutverschmiert. Die Streifen reichten bis zu den Wangen, und Mallmann hob mit einer bewusst langsamen Bewegung den Arm, um das Blut mit seinem gekrümmten Finger wieder abzuwischen.
Er leckte über seine Lippen.
»Er genießt es!«, keuchte Glenda angeekelt. »Diese Bestie genießt es bis zum letzten Augenblick.«
Mallmann nickte. Er hatte die Worte gehört. »Ja, ich genieße es«, erklärte er, wobei die Frauen den Eindruck hatten, dass sich seine Stimme richtig satt anhörte. Satt und zufrieden. »Es musste sein. Ich brauchte das Blut. Aber das kennt ihr.«
Jane Collins blieb relativ gelassen, als sie sagte: »Dann haben wir ja noch eine Galgenfrist.«
»Wer weiß…«
Glenda schaute auf den Sultan. Abdul Hamid lag unbeweglich in seinem Sitzpolster. Sie wusste nicht, wann er die Kraft fand, sich zu bewegen und aufzustehen, bis dahin aber wollten sie den Raum verlassen und sich ein Versteck gesucht haben. Es war für Mallmann nicht schwer, ihre Gedanken zu erraten. Bevor er zu ihnen kam, sprach er sie an. »Ich weiß, dass ihr Gefangene seid. Ihr bewegt euch im Bereich des Harems, wo ihr als Gefangene zu leben habt. Die Nacht ist lang, und es wird eine sehr grausame Nacht werden, das kann ich euch versprechen. Eine Nacht der Angst, der drückenden Furcht. Hinter jeder Säule, hinter jedem Pfeiler, hinter jeder Ecke kann das Verderben lauern. Eines aber verspreche ich euch. Noch vor Sonnenaufgang und dem Verschwinden des Vollmonds wird es euch erwischt haben. So sind die Regeln. Ich werde euch jetzt verlassen und mich um meine Diener kümmern. Ich werde ihnen sagen, dass es zwei neue, mit Blut gefüllte Menschen gibt, auf die sie Jagd machen können. Und wenn sie
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