0644 - Der Leichenfürst von Leipzig
- ich bezog jetzt beide Teile mit ein - keinen Mann, der eine ähnliche Aufgabe, wie Will sie gehabt hatte, hätte übernehmen können.
»So nachdenklich, John?«
Ich hob die Schultern. »Ich will Sie jetzt nicht kalt auflaufen lassen, Harry, aber über dieses Thema sollten wir uns später einmal unterhalten.«
»Sie stehen dem also positiv gegenüber?«
»Sehr sogar.«
Kommissar Stahl machte mir einen erleichterten Eindruck, als er sich zurücklehnte und über seine graue Haarmatte strich. »Das wäre natürlich super.«
Wir beendeten das Thema und widmeten uns den brandaktuellen Tatsachen, wobei ich von meinem deutschen Kollegen wissen wollte, was dieser Erwin Mischke für ein Mensch gewesen war.
Der Kommissar aus Leipzig schaute durch das Bürofenster und gab mir eine Antwort, die mich amüsierte und gleichzeitig verwunderte. »Mischke war ein Arsch!«
»Wie bitte?«
»Ja, so wie ich es gesagt habe. Der war…« Er wollte noch etwas sagen, wurde jedoch vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Man gab ihm die Nachricht durch, dass auf dem Leipziger Hauptbahnhof drei weitere RAF-Terroristen verhaftet worden waren.
»Das passt zu Mischke«, erklärte er. »Dieser Mann war ein Spitzel, einer, der für alle arbeitete, die ihm genügend Geld boten. Weniger für die Polizei als für die Stasi. Der hatte seine Hände überall drin. Bei großen Fahndungen mischte er mit. Er kam an zahlreiche Informationen heran, weil ihm einige Typen etwas schuldig waren. Er hatte auch Mädchen laufen gehabt. Wahrscheinlich können Sie sich bei ihm bedanken, dass dieser Vincent van Akkeren überhaupt gefunden wurde.«
»Dafür hat er nun bezahlt.«
»Klar, er liegt als kalte Leiche im Keller. Als hätte er die letzten Stunden in einem Kühlschrank verbracht. Verdammt, John, was ist das? Wer ist dieser Mörder?«
»Ein Schatten!«
»Hören Sie auf. Sie haben mir von einem in Schwarz gekleideten Typen berichtet…«
»Beide gehören zusammen.«
Stahl kniff ein Auge zu. »Könnte es denn sein, John, dass der Schatten dieses Mannes es schafft, sich von seinem ursprünglichen Körper zu lösen und sich selbstständig zu machen? Halten Sie so etwas überhaupt für möglich?«
»Selbstverständlich.«
»Okay, und wie geht das technisch vor sich?«
»Das, mein lieber Harry, müssen wir herausfinden, dann haben wir die Lösung.«
Er lehnte sich wieder zurück und schaute gegen die mit Fliegendreck beschmierte Decke. »Wir müssen aber nach Lage der Dinge davon ausgehen, dass der Schwarze und van Akkeren verschiedene Personen sind. Oder sehe ich das falsch?«
»Nein.«
»Dann jagen wir zwei Gegner!«
»Ich kann nicht widersprechen.«
Der Kommissar schüttelte den Kopf und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Das wird ein Ding«, erklärte er im breitesten Sächsisch. »Ein richtiger Hammer hoch drei. Das ist unwahrscheinlich, so etwas nimmt uns keiner ab, verdammt.«
»Wobei wir den Namen des zweiten nicht kennen.«
»Klar, John, klar. Wie sehen Sie ihn denn? Kann er von hier stammen?«
»Bestimmt. Wäre van Akkeren sonst nach Leipzig gekommen?«
»Ja, da haben Sie Recht.« Harry Stahl nickte versonnen. »Sie löschen alle Spuren«, murmelte er.
»Alles schaffen sie weg. Da sind sie radikal bis zum Letzten. Verdammt auch, wenn ich nur wüsste, wer oder was dahintersteckt.«
»Gefährliche Kräfte, Harry. Mehr weiß ich auch nicht. Mischke war wohl eine Spur. Jetzt ist sie kalt…«
Aus dem Vorzimmer vernahmen wir Stimmen. Die Sekretärin regte sich auf. »Sie können jetzt nicht rein, Polinski.«
»Ich muss aber.«
Harry Stahl hatte es ebenfalls mitbekommen und sich erhoben. »Das gibt Ärger, fürchte ich.«
Der Ärger stolperte in das Büro. Ein kleiner Mann mit hochrotem Kopf schaute uns an. Die Augen waren geweitet. Er bewegte unsicher seine Arme. In den Gesichtszügen stand der Schrecken wie eingemeißelt. »Chef«, keuchte er, »verdammt, Chef. Ich werde wahnsinnig, ich werde verrückt. Das kann nicht wahr sein!«
»Wie meinen Sie das?«
»Der Tote…«
»Welcher Tote?«
Polinski glotzte uns an. »Dieser Mischke, Chef, er ist nicht mehr da. Er ist weg, verschwunden…«
***
Wir saßen da wie vom berühmten Blitz getroffen. So starr und unbeweglich. Nur eine Gänsehaut rann kalt an meinen Armen hoch und endete an den Schultern.
Ich hatte zwar nichts geahnt, war aber nicht so perplex wie mein deutscher Kollege, der den Mund öffnete, laut Luft holte und sich an seinen Mitarbeiter wandte. »Sagen Sie das
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