0645 - Das ewig Böse
Spannung, die sich bis vor wenigen Minuten aufgebaut hatte, verflog.
Aus den Augenwinkeln beobachtete der Zauberer, wie seine Leute ihren übereilten Rückzug abbrachen und der Diskussion zuhörten. Er fühlte sich jetzt stark genug, um sich Anxim-Ha zu widmen.
»Ist das alles, was du gegen mich vorzubringen hast? Eine Kuh? Oder gibt es da noch eine verlorene Ente, ein totgeborenes Schaf oder andere Dinge, die in der Natur nun einmal Vorkommen? Vielleicht willst du mich ja auch für den Regen verantwortlich machen?«
Die fremde Frau warf einen Blick auf die Menschen, die eben noch bereit gewesen waren, für sie zu töten.
»Du glaubst wohl, daß du mit ein paar Sätzen vertuschen kannst, wie schlecht du wirklich bist, Prahil-Girad«, sagte sie bitter.
»Seht ihn euch an!« schrie sie zur Menge herab. »Er ist nicht Mensch und nicht Pferd. Er ist eine Beleidigung im Angesicht der Götter. Wie könnt ihr jemanden wie ihn unter euch dulden?«
»Wenigstens redet er keine Scheiße!« schrie eine Stimme aus der Menge zurück. Die Bemerkung wurde heftig beklatscht.
Prahil-Girad sah, wie es in Anxim-Has Gesicht zuckte. Erst jetzt begriff sie, daß sie die Kontrolle über die Menschen endgültig verloren hatte.
Sie drehte ihren Kopf zu dem Zauberer. »Denkst du etwa, du hast gewonnen?« fragte sie, und etwas in ihrer Stimme ließ ihn zusammenzucken. »Denkst du wirklich, ich lasse sie so leicht gehen?«
»Es wird dir wohl nichts anderes übrigbleiben«, sagte er ruhig.
»Dann sieh her…«
Laut schrie sie: »Er ist das Böse!«
Einige in der Menge winkten ab, andere lachten. Nur Prahil-Girad nicht, denn er sah, wie Anxim-Ha mit ihren Händen einen Zauber wob, den er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Ihre Finger bewegten sich in komplizierten Mustern, von denen er keines erkannte. Es war eine Magie, die ihm völlig fremd war.
Blitzschnell wob er einen Schutzzauber, der sich auch auf seine Begleiter erstreckte.
Doch dann sah er, daß das gar nicht nötig gewesen wäre, denn der Zauber ging nicht gegen ihn, sondern gegen die Menschenmenge unter ihm.
Anxim-Has Augen färbten sich plötzlich blau. Strahlen schossen daraus hervor und verstofflichten das Netz, das sie gerade unsichtbar gewoben hatte. Es fiel auf die Menge herab und verschwand in ihr.
»Er ist böse!« schrie sie erneut. Die Menge drehte sich zu dem Zauberer. Ihre Augen waren stumpf und ohne eigenes Leben. Niemand lachte mehr.
»Böse!« wiederholten sie wie aus einer Kehle und starrten ihn haßerfüllt an.
Prahil-Girad mußte um seine Konzentration kämpfen, sonst wäre er in die Menge gestürzt.
Die Frau, die sich Anxim-Ha nannte, hatte gerade etwas getan, was keiner seiner Art vermochte. Sie hatte den Geist von Menschen manipuliert! Und dafür gab es keinen Gegenzauber, nichts, was er hätte ausrichten können.
Geschockt drehte er sich zu seinen Begleitern und bedeutete ihnen mit hektischen Handbewegungen, sich zurückziehen.
Und dann floh der Meisterzauberer.
Er wußte, daß der Krieg verloren war, noch bevor er begonnen hatte.
Hinter ihm drehte sich Anxim-Ha in die Richtung, in der die Stadt San-Lirri lag.
»Folgt mir!« schrie sie ihrer neuen Armee zu.
Und sie folgten. Um zu zerstören.
***
Nicole war überrascht gewesen, als sie bemerkt hatte, daß der Planet, auf dem sie gelandet war, eine Tag- und eine Nachtseite hatte. Zwar wußte sie, daß es solche Phänomene gab -der irdische Mond gehörte zum Beispiel auch zu diesen sogenannten »Einseitendrehern« -, aber sie hätte nicht gedacht, daß sich Lebensformen auf Dauer unter solch extremen Bedingungen halten könnten. Vor allem keine menschlichen Lebensformen…
Sie und Nefir-Tan waren direkt nach dem dürftigen Frühstück aufgebrochen. Sie hatten einen langen Weg zurückzulegen, bis sie die Dämmerzone erreichten. Nefir-Tan rechnete damit, daß sie mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Tage brauchen würden. Die Kriegerin war nach dem Angriff des Wesens merklich aufgetaut und beantwortete mittlerweile auch bereitwillig Nicoles Fragen.
Ihre Schilderungen des »Heiligen Krieges« waren zwar voller Legenden und mythischer Begebenheiten, aber Nicole glaubte, sich trotzdem ein recht gutes Bild von dem machen zu können, was auf dieser Welt vorgefallen war. Anscheinend hatten die Menschen, die jahrtausendelang unter der Knechtschaft von Dämonen gelitten hatten, sich schließlich zu einer Armee zusammengeschlossen und die höllischen Fürsten von ihrem Thron vertrieben. Eine
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