0652 - Der Bogie-Mann
Schnitts wurde zum Herbst und Winter hin Mode, das wusste Jessica.
»Hallo, ich bin Juri.« Er benutzte eine sehr starke vom Dialekt gefärbte Sprache.
»Jessica.«
»Du bist eine schöne Frau.« Er legte seine Hand auf die ihre.
»Bitte, Sie übertreiben.«
»Sag Juri und du.« Er ließ ihre Hand los und setzte sich. Erst jetzt fiel Jessica auf, dass er ein Stirnband trug. Er entledigte sich der Jacke und saß allein im dunklen Trikot da. »Kinder, ich brauche einen Schluck zu trinken.«
»Was denn?«, fragte Marion.
»Etwas, das prickelt.«
»Cidre?«
»Okay, das nehme ich auch.«
»Hätten Sie lieber Champagner gehabt?«, fragte Jessica.
»Ja, mein Kind. Aber du solltest mich duzen. Hast du das vergessen? Noch einmal so förmlich, dann hole ich mir einen Kuss von dir. Und meine Küsse sind berühmt«, lobte er sich selbst.
»Bis berüchtigt«, meinte Esther und lachte dabei.
»Du sollst doch nicht immer alles verraten, Kind.«
Jessica mochte ihn immer weniger. Juri war der Typ eines Angebers. Solche Menschen füllten Räume auf eine unangenehme Art und Weise aus, sie waren beherrschend und wollten herrschen.
Sie waren die Besten, die Schönsten, die Stärksten.
Marion kam mit der Cidre-Flasche und einem Glas. Bis zum Rand schenkte sie es voll.
»Ahhh, ich danke dir, mein Schatz. Du bist doch immer noch die Beste, finde ich.«
Er trank, von zwei Augenpaaren beobachtet. Jessica hielt sich etwas zurück.
Das leere Glas stellte er ab und sagte: »War das wieder ein Tag! Ich habe nur gearbeitet.«
»Ach ja?«
Juri nickte. »Und wie. Ich muss doch proben. Ich bin verantwortlich für die Choreografie. Ich habe alles noch einmal theoretisch durchgespielt. Ich war alle, versteht ihr?«
»Nein.«
»Also, ich habe den Part meiner Mitarbeiter ebenfalls in meinem Haus getanzt.«
»Und das hast du geschafft?«, wunderte sich Esther.
Er lachte und breitete die Arme aus. »Ich bin schließlich nicht zum Faulenzen hier.« Er strich über seine Kleidung, als wollte er seinen Körper liebkosen. Dann schaute er auf Jessica. »Sag mir, was du machst? Nein, lass mich raten.«
»Bitte.«
»Du malst!«
»Hin und wieder. Auch Kaffee.«
Er konnte über den Witz nicht lachen. »Aber du bist Künstlerin, das sehe ich dir an.«
»Stimmt.«
»Tänzerin, Sängerin?«
»Nein, nein, alles falsch.« Plötzlich ritt Jessica der Teufel. »Ich möchte wissen, wie der Bogie-Mann aussieht, Juri. Deshalb bin ich zu den Drakes gekommen.«
Juri stieß einen Laut aus, der kaum dem eines Menschen glich. »Was ist mit dem Bogie-Mann?«, schrie er. »Warum erwähnt sie das - warum?« Er brüllte in den Raum hinein.
»Was hat er denn?«
Esther kam zu Jessica und ging neben ihr in die Knie. »Juri ist allergisch gegen den Bogie-Mann.«
»Weshalb?«
Sie flüsterte weiter. »Er hat irgendwie ein Trauma. Dagegen kann er nicht an. Du weißt wahrscheinlich nicht, dass es hier in der Gegend zu einigen Vorfällen gekommen ist, die dem Bogie-Mann zugeordnet werden.«
»Dann gibt es ihn?«, fragte Jessica erstaunt.
Esther drehte den Kopf. »Ich weiß es auch nicht. Es hat aber Tote gegeben. Angeblich ist der BogieMann gesehen worden. Davor fürchtet sich Juri. Er will nicht mehr allein in seinem Haus wohnen.«
»Heißt das, er wird in der Nacht hier bei euch übernachten?«
»Das haben wir vorgesehen.« Als Jessica zusammenzuckte und so tat, als wollte sie aufstehen, wurde sie rasch festgehalten. »Dich braucht das nicht zu stören. Wir haben oben genug Zimmer.«
»Da ist doch noch ein Gast.«
»Ich glaube nicht, dass er bleibt. Er muss gleich kommen. Und wenn, dann wird er…«
»Jagt er den Bogie-Mann?«
Esther starrte Jessica hart an. »Wie kommst du darauf? Wieso fragst du?«
»Fiel mir nur ein.«
»Ich weiß es nicht.« Sie richtete sich auf und ging zu Juri, der ein weiteres Glas Cidre trank.
»Ach, ich werde gleich ins Bett gehen. Ich darf doch wieder bei euch…?«, fragte der Tänzer.
»Aber sicher, Juri.« Marion streichelte über das Haar des Mannes. »Du hast hier dein zweites Zuhause.«
»Schon fast mein erstes.« Er fasste nach der Flasche, stand auf und nahm sie mit auf sein Zimmer.
Jessica bedachte er mit keinem Blick. Marion brachte ihn noch hoch. Esther blieb zurück.
»Jetzt habe ich ihn aber beleidigt«, sagte Jessica beim Aufstehen.
»Nun ja, er ist eben ein wenig sensibel. Aber so sind wir Künstler. Du kennst dich selbst.«
»Sicher.« Jessica war ans Fenster getreten und entdeckte das
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