0652 - Der Bogie-Mann
willst.«
Der Apparat gehörte zu den alten, die man vor Jahrzehnten gehabt hatte. Er war hoch und schwarz.
Als ich den Hörer abnahm, merkte ich es noch nicht. Mir fiel es erst auf, als er mein Ohr berührte.
Nichts war zu hören. Eine tote Leitung.
Ich drehte mich um.
Tippy und Marion standen zusammen. Sie schauten mir erstaunt entgegen, wie ich fand.
»Warum funktioniert das Telefon nicht?«
»Wieso?«, fragte Marion.
»Die Leitung ist tot.«
Die Frauen schauten sich an. Marion zupfte dabei an ihrem Kleid. »Das passiert hier schon mal.«
Ich legte wieder auf. Mit gerunzelter Stirn fragte ich: »Kommt das öfter vor?«
»Wie man's nimmt.«
»Nun ja, da ist nichts zu machen.« Ich quälte mir ein Lächeln ab. »Bleibt ihr noch auf?«
»Bestimmt.«
»Ich will mich nur etwas frisch machen.«
Sie hielten mich nicht auf. An der Treppe traf ich mit Esther zusammen, die mir einen erstaunten Blick zuwarf. »Du willst schon schlafen gehen?«
»Nein, das nicht. Ich möchte mich nur frisch machen. Übrigens, euer Telefon funktioniert nicht. Da muss irgendetwas mit der Leitung nicht in Ordnung sein.«
»Wirklich?«
»Weshalb sollte ich lügen?«
Esther hob die Schultern. »Tut mir sehr Leid, John. Heute geht wohl alles schief. Es gibt diese Tage, ich kenne das.«
»Ich auch.« Mir fiel etwas ein. »Darf ich mich noch mal in eurem Atelier umschauen?«
»Natürlich. Ich habe nichts dagegen. Weshalb willst du das tun, John? Du hast morgen mehr Ruhe…«
»Ich möchte nach einem bestimmten Gegenstand Ausschau halten. Du kannst gern mitkommen.«
Esther hob die Schultern. »Klar, wenn es dir Spaß macht. Außerdem weiß ich besser, wo die Schalter zu finden sind. Warte, ich gehe vor.«
Sie trug noch immer ihr neues Kleid. Der Stoff raschelte leise, wenn sie sich bewegte. Ohne Licht wirkte das Atelier gespenstisch. Da glichen manche Kunstwerke materialisierten Albträumen.
»Wo genau willst du hin?«
»Zu Marions Arbeitsstätte.«
»Bitte.«
Das Licht kam mir kalt vor. Es fiel aus zahlreichen Strahlen und knallte auf den Boden. Auch gegen die großen Fenster strahlte es. Dort stand auch die Bank.
Ich blieb neben ihr stehen und suchte sie mit meinen Blicken ab. Zahlreiche Figuren hatten dort ihren Platz gefunden, das hatte ich noch in Erinnerung.
Aber eine fehlte.
Bevor ich etwas sagte, schaute ich noch einmal nach, bückte mich und untersuchte auch den Boden.
Wieder hochkommend, hob ich die Schultern. »Er ist verschwunden - leider.«
»Wer denn?«, fragte Esther.
Mein Lächeln fiel kantig aus. »Der Bogie-Mann. Die Figur des schwarzen Killers.«
Esther runzelte die Stirn. Dann strich sie über ihre Wangen und bewegte die Augenbrauen. »Ich kann dir da nicht helfen, John. Ich mache Mode. Du müsstest schon meine Schwester Marion fragen.«
»Hat sie die Figur verkauft?«
»Bestimmt nicht. An wen denn?«
»Jessica Long?«
»Das hätte ich gewusst.« Esther schüttelte den Kopf. »Du solltest die Sache nicht tragisch nehmen. Man stellt hier und da schon mal Figuren zur Seite, um für andere Platz zu schaffen.«
»Die Lücke ist nicht aufgefüllt worden. Was den Bogie-Mann angeht, da reagiere ich etwas allergisch, wie du dir sicherlich denken kannst.«
»Das verstehe ich auch. Wir werden sie fragen.«
Nicht erst seit jetzt war ich der Meinung, dass mir die drei Schwestern etwas vorspielten. Sie konnten sich noch so harmlos geben, ich war einfach davon überzeugt, dass der Bogie-Mann und alles, was mit ihm zusammenhing, nicht eben fremd für sie war.
»Marion wird bestimmt eine Erklärung haben«, plapperte Esther weiter, als wir in den großen Wohnraum zurückgingen. »Davon bin ich fest überzeugt.«
»Hoffentlich.«
»Du sagst das so komisch.«
»Schon gut.«
Die beiden Schwestern waren dabei, eine neue Flasche Wein zu öffnen. »He, hört mal her!«, rief Esther. »John hat ein kleines Problem. Es betrifft dich, Marion.«
»Wieso mich?«
Ich erklärte es ihr.
Sie strich über ihr kurzes Haar. »Weg, hast du gesagt? Die Figur soll verschwunden sein?«
»So ist es. Hast du sie woanders hingestellt?«
»Nein, John. Wie käme ich denn dazu?«
»Immerhin ist es deine Schöpfung. Du kannst damit tun und lassen, was du willst.«
»Schon, aber…«
Tippy trat einen Schritt vor. Das Weinglas hielt sie in der rechten Hand und lächelte mich über den Rand hinweg an. Ihre Augen hatten einen etwas verklärten Glanz bekommen. Unter dem dünnen Pullover zeichneten sich hart die Spitzen ihrer
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