0662 - Sturm auf den Todestempel
worden war. Ich möchte die Menschen vor dem großen Schrecken warnen, der auf sie zukommen wird, wenn es Kali gelingt, die Herrschaft zu übernehmen.«
»Dafür sind wir auch«, sagte ich. »Wir hassen Kali. Auch wir haben versucht, die Totengöttin zu vernichten, doch es ist uns nicht gelungen. Was willst du tun, wenn ihre Diener hier erscheinen? Wie mächtig bist du?«
Er hob die mageren Schultern. »Ich habe das Licht erschaffen können«, flüsterte er. »Ja, ich bin in der Lage, die Verbindung zwischen den Welten herzustellen. Das Licht hier stammt nicht von dieser Welt. Es ist die fließende Energie einer anderen Zeit, die dicht neben dem Nirwana liegt. Es ist das Licht der Gerechten, deren Seelen durch die Zeit reisen und bis hinein in unsere Welt leuchten, um diesen Tempel zu einem Hort des Friedens zu machen.«
»Sind es die Seelen der Toten?«, fragte Suko. »Derjenigen Gestalten, die in den Gräbern liegen?«
»So ist es. Sie geben mir die Kraft. Deshalb sage ich, dass sie nicht tot sind. Erst wenn das Licht nicht mehr leuchtet, wenn die Schatten der Totengöttin Kali es überdecken, dann ist meine Zeit abgelaufen. Vorher nicht, nein, bestimmt nicht.«
»Ich werde gegen Kali kämpfen!«, erklärte Suko.
»Du allein?«
»Nein, ich möchte diejenige Person bei mir haben, die ebenfalls so gerecht ist wie ich. Shao, die Letzte der langen Ahnenreihe der Sonnengöttin Amaterasu. Du wirst von ihr gehört haben, glaube ich. Du musst sie anerkennen, sie ist…«
»Ja, ich erkenne sie an.«
»Und weshalb ist sie tot?«, fragte Suko. »Was hast du mit ihr gemacht? Das Licht ist…«
Cheng Wu winkte ab. »Nicht so voreilig. Ich weiß, dass du sie gesehen und auch angefasst hast. Aber du hast es nicht geschafft, du hast hindurchgegriffen, ich hatte dir ihre Projektion geschickt. Dein Wunsch aber soll erfüllt werden.«
Suko öffnete den Mund, um Luft zu holen. »Shao ist nicht…«
»Nein, sie lebt.« Cheng Wu lächelte. »Schon vor langer Zeit hat es die Totengöttin Kali verstanden, mich zurückzudrängen, damit ich nicht die Nachfolge des großen Buddha antreten konnte. Aber sie hat nicht alle Kräfte zerstört. Die meisten stecken in mir. Shao liegt in einer Starre, aus der ich sie schon erweckt habe. Geh zu ihr…«
Ich wunderte mich, dass Suko zögerte. »Einen Moment noch«, sagte er, »da ist noch etwas.«
»Was denn?«
»Mein Stab. Er ist ein Erbe des großen Buddha. Du aber hast ihn deformiert und zerstört. Du hast das fertig gebracht, was niemand vor dir schaffte. Selbst der Teufel nicht. Deshalb bitte ich dich, dies wieder zurückzunehmen.«
Cheng Wu schaute Suko an. Er las die Bitte auch in den Augen des Chinesen, musste aber dann den Kopf schütteln und fügte auch eine Erklärung hinzu. »Es ist nicht so leicht. Ich kann es erst wieder zurücknehmen, wenn du dich bewährt hast.«
Suko war für einen Moment sprachlos. »Wie soll ich mich…?«
»Im Kampf gegen die Totengöttin. Erst dann kann ich den Zauber zurücknehmen.«
»Gegen sie habe ich schon…«
»Nein. Du musst noch gegen sie kämpfen. Alles andere zählt nicht.«
Suko erbleichte. Er schaute zu Boden. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Okay, mein Freund, versuche es. Du hast deine Chance, ich meine auch. Cheng Wu und ich werden versuchen, die Schrift auf dem Palmblatt zu entziffern. Du wirst dich um Shao kümmern und dafür sorgen, dass ihr gemeinsam…«
»Ich weiß schon, John, ich weiß.« Suko drehte sich um. Er wollte dorthin, wo Shao im offenen Grab lag.
Den Weg konnte er sich sparen, denn Cheng Wu hatte sein Versprechen gehalten und Shao wieder zurück ins »Leben« gerufen. Sie ließ sich nicht helfen und kletterte - ein wenig steifbeinig zwar aus der flachen Grube. Ihr Gesicht wirkte im diffusen Geisterlicht ungewöhnlich weich, die Lippen lächelten und als Suko zu einer Erklärung ansetzen wollte, legte sie ihm den Zeigefinger auf den Mund.
»Bitte, Suko, sag nichts. Ich weiß über alles Bescheid.«
Er trat einen Schritt zurück. Seine Hand glitt von Shaos Hüfte ab. »Wieso denn?«
»Ich habe alles gehört«, erwiderte sie, das Lächeln beibehaltend. »Es gibt nicht nur den Weg über die reine Akustik. Wer mit Cheng Wu verbunden ist, erfährt vieles.« Ihr Gesicht verschloss sich wieder, es nahm einen harten Ausdruck an. »Allerdings haben wir keinen Grund, uns auszuruhen. Sie sind bereits unterwegs. Die Schergen der Totengöttin Kali, die nicht wollen, dass Cheng Wu hier seine Heimstatt
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