067 - Der Redner
Vertretungen hatte, reiste er viel. Von selten der Polizei lag gegen ihn nichts vor, wie Mr. Rater festgestellt hatte. Er war deshalb eine geeignete Persönlichkeit, mit der internationale Hochstapler und Verbrecher in geschäftliche Verbindung treten konnten.
Theodor Louis Hazeborn - die Namen wollten dem Redner nicht aus dem Sinn, als er nach London zurückreiste.
Am Tage seiner Rückkehr hatte er das zweifelhafte Vergnügen, Lady Teighmount die vermißten Diamanten wieder zu übergeben. Sie war sehr schlechter Laune. Von Hause aus sparsam, ja beinahe geizig, ärgerte sie sich über jeden Schilling, den sie für die Beschaffung der Steine zahlen mußte. Außerdem glaubte sie, daß die Polizei die Brillanten ebensogut ohne Geld hätte wiedererlangen können, wenn sie es durch Zahlung einer Summe erreichte. Sie war sogar unhöflich genug, anzudeuten, daß die Polizei und der Chefinspektor von dem Betrag profitiert hätten.
Der Redner hörte kaum zu, denn seine Gedanken beschäftigten sich unausgesetzt mit den Brüdern Dissel.
Mit großer Geduld begann er, neue Nachforschungen anzustellen, und suchte alle Akten über Diamantendiebstähle zusammen. Wochenlang befragte und verhörte er Juwelendiebe, die im Gefängnis saßen. Über ein Dutzend Anstalten besuchte er, und zum Schluß hatte er auch einen gewissen Erfolg. Er entdeckte einen feststehenden Schmuggelweg, der von London nach Belgien führte. Dauernd wurden gestohlene Steine auf diese Weise von Agenten ins Ausland geschafft. Seine Nachforschungen führten nicht immer nach Brüssel, manchmal auch nach Lüttich oder nach Ostende. Aber jedesmal wurde der Betreffende in ein Café, ein Bierlokal oder eine kleine Kneipe bestellt, und immer wurde die Zusammenkunft in London vereinbart.
»Die Sache war so«, sagte ein Hehler, der eine lange Gefängnisstrafe in Maidstone absaß. »Wenn die Jungens irgendwo ein großes Ding gedreht hatten, wurde einer der bekannten Händler angerufen, und dann erhielt man bestimmte Nachricht, wo die Steine übergeben werden sollten. Ich weiß nicht, woher der Mann am Telefon Bescheid wußte, aber auf jeden Fall klappte es jedesmal. Dann hat einer die Sachen über den Kanal gebracht. Die Bezahlung war immer einwandfrei. Ich selbst habe solche Reisen gemacht.«
»Haben Sie denn niemals den Betreffenden gesehen?«
»Nein. Man wurde in ein Café bestellt, dann kam jemand herein und sagte: ›Er ist draußen.‹ Gewöhnlich wartete er in einem Auto an der Straßenecke, und zwar immer nach Einbruch der Dunkelheit. Mit unheimlicher Geschwindigkeit prüfte er die Diamanten im Schein einer Taschenlampe, nannte den Preis und zahlte sofort.«
Mehr konnte der Redner nicht erfahren.
Bald darauf stand ihm ein freier Tag zur Verfügung, und er besuchte den Bruder seines Brüsseler Bekannten.
Im Gegensatz zu Henry Dissels Geschäftsräumen besaß sein Bruder Theodor in London ein prachtvoll eingerichtetes Büro mit Mahagonitüren, Mahagonimöbeln und kostbaren Ledersesseln. An der Tür war das Firmenschild in Messingbuchstaben angebracht: Theodor Dissel, Dipl.-Ing.
Er war ein gutgewachsener, großer Mann in elegantem Anzug. Das Gesicht war glattrasiert, und die Haare sorgsam zurückgebürstet. Er hatte ein Monokel im Auge und trug tadellose Wäsche. Der Belgier sprach nur ein schlechtes Englisch und machte manche Fehler, aber Theodor konnte sich fließend und gut ausdrücken. Auch sein Benehmen war vornehm und zurückhaltend.
Eine Stenotypistin führte Mr. Rater in das Privatbüro, wo Theodor an einem eleganten Schreibtisch saß. Mr. Dissel verneigte sich ein wenig zeremoniell und steif. Das war vielleicht das einzige, was ihn als früheren Ausländer kennzeichnete.
»Ich habe das unangenehme Gefühl, daß Sie mich wegen meines Bruders sprechen wollen«, sagte er mit einem etwas verlegenen Lächeln. »Ich weiß, daß Sie vor ein paar Tagen eine geschäftliche Unterredung mit ihm hatten. Er hat mir geschrieben, daß Sie mich besuchen würden.«
»Und warum sind Sie darüber beunruhigt?« fragte der Redner geradezu.
Mr. Theodor Dissel ging in dem Zimmer auf und ab. Er hatte die Hände tief in den Taschen vergraben.
»Mein Bruder Henry ist ein etwas wilder Geselle, aber im Grunde ein guter Kerl. Mit Geld weiß er nicht umzugehen, und es besteht immer die Gefahr, daß er Schulden macht. Handelt es sich um irgendein geschäftliches Abkommen, das Sie mit ihm getroffen haben, oder hat er bei Ihnen Geld geliehen, das er nicht zurückzahlt? Direkt
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