067 - Der Redner
die als Ersatz die Hauptrolle einstudiert hatte, wäre gern von dieser Besprechung fortgeblieben, aber es war ihr befohlen worden, zu erscheinen.
Mr. Dowall sah die Primadonna kühl an. Sie war schön, selbst ihre schlimmsten Feinde konnten das nicht bestreiten. Ihre Gestalt wurde von ihren Anhängern als »göttlich« beschrieben - auch das wollte der Regisseur noch gelten lassen. Aber er allein kannte die kalte Berechnung und Tücke, die sich hinter ihren »tiefen« blauen Augen und ihren verlockend roten Lippen verbargen.
»Daß Sie nervös sind, glaube ich Ihnen. Daß Sie Angst haben, auch. Sicher haben Sie irgendwo ein ärztliches Attest im Strumpf. Und heute abend ist die Uraufführung!«
Er stellte diese Tatsache ruhig und gelassen fest.
»Was schlagen Sie denn nun vor? Sollen wir das Stück auf einen Monat verschieben und mit der ganzen Theatergesellschaft nach Monte Carlo reisen, damit Sie dort in dem schönen Klima Ihre Stimme wiederfinden?«
»Sie brauchen nicht so sarkastisch zu sein, Dowall«, erwiderte sie in schrillem Diskant.
»Soll ich Ihnen einmal etwas sagen?« Der Regisseur steckte die Daumen in die Achsellöcher seiner Weste und betrachtete sie von oben bis unten.
»Wenn Sie Alana wären, würde mir vor Wut der Schaum vorm Munde stehen, und ich würde mich in Krämpfen auf dem Boden winden. Ja, Alana zählte! Aber bei Ihnen lohnt sich das nicht. Sie haben eine Rolle in dem Stück und spielen sie schlecht und recht herunter. Sie tanzen ganz nett, und Sie singen auch halbwegs. Ihre Anbeter werden sagen ›entzückend und wundervoll‹, und die Leute, die sich nichts aus Ihnen machen, werden erklären, daß Sie besser etwas anderes täten, als das Publikum von der Bühne aus zu langweilen. Das Stück ist an sich schon eine absolute Niete, die Sie nicht retten können. Alana hätte das fertiggebracht. Als ihr junger Freund seine Gunst Ihnen zuwandte, hat er die beste Schauspielerin verloren, die es überhaupt auf der Welt gab.«
Sie kochte vor Empörung.
Dowall ließ ihren Zornesausbruch über sich ergehen, ohne hinzuhören. Dian schlich sich unterdessen unbemerkt fort.
»Ich würde an Ihrer Stelle nicht so schrecklich schreien. Ich denke, Sie müssen Ihre Stimme schonen. Sagen Sie es lieber durch Blumen«, höhnte er schließlich.
Freddie erwartete sie draußen beim Bühneneingang und war verhältnismäßig gut gelaunt. Er lauschte geduldig ihrem langen, entrüsteten Vortrag, ohne etwas dazu zu sagen ...
»Er hat mich tödlich beleidigt, und du sitzt in einer Loge dabei und schnarchst wie ein dickes Schwein. Beinahe hätte ich ihn ins Gesicht geschlagen. Du wirst diesen Menschen sofort hinauswerfen, Freddie!«
Zu ihrem größten Erstaunen lachte er.
»Das habe ich nicht mehr nötig. Wenn heute abend doch alles zusammenbricht, wird er auch dabei begraben.«
»Was soll das heißen?« fuhr sie ihn wütend an.
»Das heißt, daß ich weiterhin keine Verantwortung mehr für das Elcho-Theater habe. Ich habe es nämlich verpachtet und das Stück verkauft.«
Sie drehte das Licht im Wagen an, um sein Gesicht besser sehen zu können.
»Was - du hast das Stück verkauft?«
»Ja, mit allem, was drum und dran hängt«, entgegnete er vergnügt. »Die Sache hat achttausend gekostet, und morgen abend habe ich einen Scheck über zwölftausend Pfund in der Tasche. Ich habe keinen langen Vertrag mit dem Mann gemacht. Wir schreiben uns einfach kurze Briefe, und damit ist die Sache erledigt. Wir zwei gehen dann nach Monte Carlo, und vorher heiraten wir.«
Sie starrte ihn verblüfft an.
»Heiraten? Hat denn Alana -?«
Freddie war äußerst zufrieden mit sich selbst.
»Ich habe mich damals mit ihr in Amerika trauen lassen.
Das wußtest du wohl noch nicht. Und nun habe ich mich eben auch in Amerika wieder von ihr scheiden lassen. Die Geschichte hat zweitausend Dollar gekostet - na, das war sie ja schließlich wert. Ich habe alles schlau eingefädelt. Als Alana nach Amerika ging, wurde ihr die Vorladung zum Prozeß mit unbekannter Adresse zugestellt. Du weißt doch, was für einen Höllenspektakel sie bei einer Verhandlung gemacht hätte. Die Scheidungsklage wurde in ihrer Abwesenheit verhandelt, und heute morgen kam ein Telegramm von meinem Anwalt, daß die Sache erledigt ist. Bin ich nicht ein kluger Junge?«
»Wann hat denn der Scheidungsprozeß begonnen?«
»Etwa vor einem Monat.«
Sie lehnte sich enger an ihn und streichelte seine Hand.
Chefinspektor Rater ging am Abend zu der Uraufführung,
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