067 - Der Redner
dem Haus«, erklärte er und freute sich über ihren Eifer. »Es wird Sie sicher auch interessieren, daß schon sechsmal versucht worden ist, bei mir einzubrechen. Zweimal sind die Leute, die zu den gerissensten Banden von Paris gehörten, auch tatsächlich ins Haus gekommen. Aber wenn das selbst zweihundert verschiedenen Banden gelungen wäre, so könnten sie doch niemals in meine Stahlkammer eindringen.«
Und seine Behauptung war nicht übertrieben. Das kleine Gewölbe aus Stahl und Beton war im Keller eingebaut und besaß eine sechzig Zentimeter starke Tür und einen Entlüftungsschacht.
»Sie müssen sich die Anlage einmal ansehen«, sagte er.
In Wirklichkeit hatte er allerdings nicht die Absicht, sie ihr zu zeigen, denn er hütete diese Stahlkammer eifersüchtig und ließ Tag und Nacht den Zugang bewachen.
Er war der aufmerksamste Chef, den man sich denken konnte. Lydia Grayne war noch keine Woche bei ihm tätig, als er darauf bestand, sie persönlich zum Ausgang zu begleiten, wenn sie das Haus verließ.
Eines Abends stand er wieder unter der Haustür und sah ihr nach, als sie die Straße nach links hinunterging. Plötzlich bemerkte er, daß ein Mann aus dem Schatten trat und mit ihr sprach. Einen Augenblick blieb sie stehen, während der Fremde ernst auf sie einredete, dann drehte sie sich rasch um und kam zu Mr. Horopolos zurück.
»Was ist denn passiert?« fragte er.
»Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll. Vermutlich ist es ein Polizeibeamter«, erwiderte sie mit zitternder Stimme. »Er sagte mir, daß ich mich vor Ihnen sehr in acht nehmen und abends nicht zu lange in Ihrem Haus bleiben sollte.«
Dimitri schob sie leicht beiseite und eilte wütend auf den Mann zu. Im Licht einer Laterne konnte er sein Gesicht deutlich sehen. Es war länglich und schmal. Außerdem hatte der Unbekannte einen dunklen Schnurrbart und buschige, schwarze Augenbrauen.
»Zum Teufel, wie kommen Sie denn dazu, die Dame anzusprechen?« fragte er. »Sind Sie etwa ein Polizist? Dann gehen Sie gefälligst zu Ihrem Mr. Rater zurück und bestellen Sie ihm von mir, daß ich mich bei Scotland Yard beschwere, wenn man mich weiter derartig niederträchtig behandelt!«
Der Fremde lächelte.
»Wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich ein Polizeibeamter bin?« fragte er ruhig. »Und wenn ich es bin - was haben Sie dagegen einzuwenden, daß ich ein Mädchen vor den Gefahren der Straße warne?«
Mr. Dimitri wollte gerade grob antworten, aber er besann sich eines Besseren und kämpfte seine Erregung nieder.
»Kommen Sie mit und trinken Sie ein Glas bei mir«, erwiderte er so liebenswürdig, als es ihm im Augenblick möglich war.
Der Mann zögerte einen Moment, als ob ihm die Aufforderung ungelegen käme, dann änderte sich sein Benehmen aber plötzlich.
»Es tut mir sehr leid, wenn ich Sie in Unannehmlichkeiten gebracht habe, aber Sie wissen ja, ich habe meine Pflicht zu erfüllen ...«
»Kommen Sie mit«, wiederholte Dimitri.
Gehorsam folgte ihm der andere. Miss Grayne stand noch an der Haustür, und der Grieche entließ sie mit einem kurzen Gruß. Dann führte er den Mann in sein kostbar ausgestattetes Arbeitszimmer und bot ihm einen Stuhl an. Der Fremde setzte sich etwas befangen auf eine Kante und hielt den Hut auf den Knien.
»Ich verlange nicht von Ihnen, daß Sie mir Ihre Dienstgeheimnisse preisgeben sollen«, begann Mr. Horopolos mit einem verbindlichen Lächeln, während er seinem Besucher einen Whisky-Soda einschenkte. »Aber wenn Sie tatsächlich den Auftrag haben, mich zu beobachten, kann ich Ihnen viel Mühe ersparen. Ich habe absolut nicht den Wunsch, mich mit der Polizei schlecht zu stellen, im Gegenteil, ich möchte recht gut mit ihr stehen.«
Der Mann räusperte sich, nahm das Glas und leerte es.
»Es ist aber meine Pflicht -« begann er.
»Ach, darauf kommt es gar nicht an«, unterbrach ihn Dimitri freundlich. »Sie müssen doch vor allem auch für sich selbst sorgen, das ist Ihre erste Pflicht. Werden Sie alle Tage hierherkommen?«
Der Fremde, der sich schließlich als Mr. Olcott vorstellte, nickte.
»Nur am Sonntag nicht.«
Dimitri lachte.
»Gut, ich verspreche Ihnen, mich über Sonntag anständig zu benehmen.«
Bei diesen Worten zog er seine Brieftasche und nahm eine Zehnpfundnote heraus.
»Das kann ich aber wirklich nicht annehmen. Ich könnte in die größten Schwierigkeiten kommen.«
»Ach, Unsinn! Wenn man Sie hört, gibt es überhaupt nur Schwierigkeiten auf der Welt. Das ist geradezu ein
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