067 - Der Redner
daß es ihm nicht gut ging. Aber sein Geiz hinderte ihn daran, etwas für seine Gesundheit zu tun.
Jenen Samstagabend werde ich nicht vergessen, denn damals passierte es mir, daß ich zuviel redete.
Es war eine rauhe Nacht, obwohl wir schon Mai hatten, und es herrschte ein Schneetreiben, als ob es Januar wäre. Der Sturm heulte und jagte mir die Flocken entgegen, die sich auf der Erde sofort zu Wasser verwandelten. Kaum ein Mensch war auf der Straße zu sehen.
Um ein Uhr nachts ging ich über den Bloomsbury Square. Ich hatte meinen Schirm aufgespannt, obwohl er mir kaum Schutz gewährte, und kämpfte mich damit gegen den Wind vorwärts. Leicht genug hätte ich mit einem Straßenpassanten zusammenstoßen können, der mir entgegenkam, und sich auf dieselbe Weise zu schützen suchte, denn der Wind blies von allen Seiten. Aber als mich schließlich tatsächlich jemand anrannte, kam er von der Seite. Ich hatte ihn nicht kommen hören, und mein erster Eindruck war, daß ihn der Wind vom nächsten Dach heruntergeweht hatte. Nachher erschien es mir glaubhafter, daß er die Treppenstufen herabgeeilt war, die von einem der Häuser auf den Platz führten. Es war aber so dunkel und ungemütlich, daß ich nicht darauf achtete, welches Haus es war.
Der Zusammenstoß kam so überraschend und unerwartet, daß ich böse wurde und schimpfte. Nun habe ich eine ziemlich kräftige Stimme, die man trotz des Sturmes sehr weit hören konnte. Der andere fluchte auch, aber viel leiser als ich. Dann bückte er sich rasch und suchte auf dem Boden. Offenbar hatte er etwas fallen lassen. Schließlich fand er es, nahm es auf, aber es entglitt ihm wieder. Ich hörte den metallischen Klang auf dem Pflaster und wußte, daß es ein Schlüssel war.
Mein Ärger war inzwischen verflogen, und es kam mir zum Bewußtsein, daß meine heftigen Bemerkungen eigentlich nicht am Platze waren. Ich bückte mich deshalb auch und half ihm beim Suchen. Dabei berührte ich eine durchnäßte Schnur, die mir der Fremde jedoch sofort aus der Hand zog. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, versuchte der Mann, an mir vorüberzueilen, aber ein unglücklicher Zufall wollte es, daß wir noch einmal zusammenstießen, und zwar sehr heftig. Ich hörte ein lautes Poltern und sah im Licht der Straßenlaterne, daß der Fremde einen silbernen Kasten hatte fallen lassen. Der Kasten sprang auf, und mehrere Gegenstände fielen heraus. Mit einem abermaligen Fluch bückte sich der Mann, sammelte die Gegenstände hastig auf und eilte davon. Erst jetzt hatte ich sein Gesicht gesehen und war im Augenblick zu erstaunt, daß ich vergaß, ihm behilflich zu sein, obwohl er Unterstützung gebraucht hätte. Eine seiner Hände hielt krampfhaft den Schirm fest, der gerade umschlug, als er sich aufrichtete.
Wenige Sekunden später war der Mann in der Dunkelheit verschwunden, und ich machte mich auf den Heimweg.
Ich war aber kaum ein paar Schritte gegangen, als ich fühlte, daß sich etwas in die Gummisohle meines Schuhs eingedrückt hatte. Da es mich beim Gehen hinderte, machte ich bei der nächsten Laterne halt, lehnte mich gegen den Lampenpfahl und entfernte den Gegenstand.
Ich nahm ihn mit, denn es ist nicht meine Gewohnheit, wertvolle Dinge wegzuwerfen. Als ich nach Hause kam, legte ich den Gegenstand auf den Kamin, aß noch eine Kleinigkeit und ging dann zu Bett. Kurz vor dem Einschlafen wurde mir plötzlich klar, daß der Mann, mit dem ich zusammengestoßen war, aus Blidfields Haus gekommen sein mußte.
Am Sonntagmorgen klingelte mein Telefon kurz vor sechs, und ich erfuhr, daß Angus Blidfield ermordet worden war. Seine Nichte war gegen halb sechs in sein Schlafzimmer gegangen, um ihm eine Tasse Tee zu bringen. Das tat sie regelmäßig, weil der alte Herr gewöhnlich um diese Zeit aufwachte. Er lag mit schrecklichen Kopfwunden auf dem Boden und lebte nicht mehr. Die Verletzungen rührten von einem Totschläger her, der immer auf dem Nachttisch lag, damit sich Mr. Blidfield gegen etwaige Einbrecher wehren konnte. Der große, starke Blechkasten unter dem Bett war erbrochen und ausgeraubt.
Als ich ankam, war das Haus bereits von Polizei besetzt. Die Beamten von Scotland Yard suchten nach Fingerabdrücken, und die Fotografen waren an der Arbeit. In dem Schlafzimmer lag noch der Dunst des Magnesiumlichtes, das sie bei den Aufnahmen benützt hatten.
Ich fand Miss Olford im Speisezimmer. Sie war sehr bleich und zitterte; aber trotzdem erzählte sie mir alles, was sie wußte, mit ziemlicher
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