0677 - Das Haus der Hyänen
vorübergehen wird. So müssen Sie das sehen, John.«
Ich nickte. »Tut mir leid, dass ich so dumm gefragt habe. Aber Sie kennen sich aus.«
»Macht nichts.« Olga ging zur Seite und drehte dem Fenster den Rücken zu.
Ich beobachtete ihre Bewegungen. Sie wirkten langsam und trotzdem geschmeidig. Mich erinnerte die schlanke Frau an ein Raubtier, das nur auf den erlösenden Sprung wartete.
Mit einer lässigen Bewegung griff sie nach dem Mantel und streifte ihn ebenso lässig über.
»Wollen Sie gehen?« fragte ich und half ihr rasch in den Ärmel.
»Natürlich.«
»Und dann?«
»Hat es Sinn, ihn hier oben zu erwarten? Ich werde ihm entgegentreten.«
»Sehr mutig.«
Olga ließ ihre Augenbrauen nach oben wandern, was ihr einen leicht hochmütigen Ausdruck gab. »Ich bin gekommen, um sie zu sehen. Ich kenne Ihre Aufgabe nicht, aber ich rate Ihnen hier im Hotel zu bleiben. Das ist am besten.«
»Bin ich hier sicher?«
»Das meine ich doch.«
Ich lächelte. »Die Hyänen sind auch in die Lobby gedrungen. Außerdem kann es sein, dass ich gar nicht sicher sein will. Ist es nicht möglich, dass wir beide aus demselben Grund hier erschienen sind? Kann doch sein - oder?«
»Daran habe ich auch gedacht.«
»Dann möchte ich Sie bitten, Olga, meine Unterstützung anzunehmen. All right?«
Ein Lächeln umzuckte ihre Lippen. Zum ersten Mal entdeckte ich einen weichen, schon etwas mädchenhaften Ausdruck in ihrem Gesicht. »Ich danke Ihnen«, sagte sie leise, bevor sie sich zur Tür wandte, sie vor mir erreichte und öffnete.
Ruhig und leer lag der Gang vor mir. Eine völlig normale Ruhe, sie kam mir dennoch trügerisch vor, weil ich einfach durch die Erklärungen zu sehr aufgeputscht worden war.
Diesmal ging ich vor. Olga schritt hinter mir die Stufen der Treppe hinab, und schon bald konnte ich in die kleine Halle schauen, die auf mich den Eindruck eines Stilllebens machte, obwohl sich Personen dort aufhielten.
Der Portier hatte sein Zimmer verlassen. Er stand wieder hinter der Rezeption, noch bleich im Gesicht, und er sah deshalb aus wie sein eigenes Gespenst. Sein Blick flackerte. Der Verband an seinem Arm war vom Blut durchnässt, und die beiden anderen Gäste hockten in den Sesseln wie erschlaffte Sportler.
Nur hatten sie ihre Kondition deshalb verloren, weil sie eine Flasche Wodka fast bis zum Grund geleert hatten. Sie schauten uns entgegen und grinsten breit.
Ich blieb vor der Treppe stehen. Hinter mir wisperte Olga mir das ins Ohr, was auch ich dachte. »Mit denen kannst du nicht mehr viel anfangen, John.« Sie war ohne Vorwarnung in einen vertrauten Tonfall gefallen.
Ich gab ihr recht. »Willst du mit dem Portier reden? Er soll sich wieder hinlegen.«
»Mache ich.«
Ich blieb in der Halle stehen. Das Lachen der angetrunkenen Männer irritierte mich. Es passte nicht in diese Szenerie hinein, die so ungemein angespannt wirkte.
Was Olga und der Portier miteinander redeten, verstand ich nicht.
Jedenfalls schaffte sie es, ihn wieder wegzubekommen. Er verschwand mit unsicheren Schritten in dem kleinen Raum hinter der Rezeption.
»Weiß er auch Bescheid?« fragte ich die Frau.
Olga nickte einige Male. »Ja, ich habe ihn gefragt. Er hat furchtbare Angst. Glaube nur nicht, dass es hier jemanden gibt, der die Legende nicht kennt. In Kwitsche wissen alle Bescheid.«
»Das war auch vorauszusehen.«
Olga griff in die Manteltasche. Dort hatte eine Fellmütze zusammengeklappt gesteckt. Sie setzte sie auf und stellte den Kragen des Mantels hoch.
»Las uns gehen!«
Ich hatte noch eine Frage und hielt die Russin an der Schulter zurück.
»Trägst du eigentlich eine Waffe bei dir?«
Mich traf ihr langer Blick. »Ist das so wichtig?«
»Wenn du den blutigen Boris stoppen willst, bestimmt.«
»Vielleicht habe ich eine«, bemerkte sie mit leiser Stimme. »Las dich überraschen.«
»Bitte.«
Ich ging trotzdem vor, drückte die Tür auf und glitt in den ziemlich kleinen Spalt.
Mich empfingen nicht nur Kälte und Dunkelheit, sondern ein Geräusch, das mir überhaupt nicht gefiel. Es war das unheimliche Heulen, das wie eine schaurige Warnung an alle Menschen über den Ort hinweghallte.
Ein furchtbares Geräusch, das aus allen Richtungen kam!
Den Schauer konnte ich nicht vermeiden. Auch meine Begleiterin bekam eine Gänsehaut. »Es ist schon sehr nahe«, flüsterte sie und schaute sich um. »Ein Zeichen dafür, dass er sich dem Ort nähert.«
»Weißt du denn, wie der blutige Boris eintreffen wird?«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher