0678 - Der Zauberschädel
gehen und konnte nicht, denn er wusste nicht, in welche Richtung er sich wenden sollte. Zu dem ersten, dem wahren Duvalier, oder zu der zweiten Gestalt, die einfach in den Raum hineinprojiziert worden war.
Er hatte das Gefühl, Gummi unter den Füßen zu haben und stellte die erste vorsichtige Frage. »Du bist also geteilt. Der Spiegel hat dich dazu gebracht.«
»Ja!« wieder antworteten beide Stimmen.
»Und was bedeutet dies genau?«
»Habe ich dir nicht davon erzählt, dass der Spiegel meine Wünsche erfüllt?«
»Ja, ich begreife es- trotzdem nicht.«
»Die beiden Ichs sind nicht nur getrennt worden. Sie können auch unabhängig voneinander reagieren. Während der eine hier im Spiegel bleibt, kann der andere Teil einen völlig gegensätzlichen Weg einschlagen, ohne irgendwelche Rücksicht auf Zeiten und Hindernisse zu nehmen. Er braucht nicht hier in der Höhle des Schädels zu bleiben, er kann auch so verschwinden.«
»Überall hin?«
»Ja. Und dies innerhalb einer kaum messbaren Zeitspanne. Alles ist möglich.«
Das musste Suko erst verdauen. Dieser geheimnisvolle und gleichzeitig unheimliche Zauber hatte ihn aus der Fassung gebracht. Er bekam die Dinge nicht richtig geordnet. Und er merkte auch, dass durch diesen Teil des Schädels etwas Unheimliches wehte wie ein ferner Atem, ausgestoßen von einer Welt, die niemand begreifen konnte. Es war der Atem, der sich hinter den Dingen verbarg, der dort lauerte und nur selten spürbar war, so wie jetzt.
Suko senkte seine Stimme, als er fragte: »Wie verletzbar ist dieses zweite Ich?«
»Überhaupt nicht.«
»Kann es nicht zerstört werden?«
»Es ist feinstofflich.«
»Aber man kann es beschwören.«
»Das allerdings, und das wäre auch gefährlich. Dann käme es nicht mehr zurück in den Originalkörper, und dieser wäre praktisch seiner Seele beraubt.«
Suko nickte sehr langsam. »Ja, ja, das verstehe ich sehr gut. Das ist mir bekannt…«
»Und es ist eine Chance für dich.«
Er war etwas durcheinander und begriff nicht sofort, was der andere meinte. »Kannst du das erklären?«
»Ja, du könntest dich auf den Weg machen und gewisse Dinge suchen. Zum Beispiel deinen Stab.«
Suko musste lachen. »Es ist wirklich unwahrscheinlich und kaum zu fassen. Dann hat der alte Mönch doch recht gehabt, als er mich zu dir schickte. Hier bekomme ich die Chance.«
»Du hast sie verdient!« erwiderte Duvalier schlicht. »Mich macht es froh, wenn ich jemandem helfen kann, denn mich hat das Schicksal dazu ausersehen. Ich hüte den Felsen, den nur die Gerechten erklimmen können. Nur die Personen, die es auch verdient haben. Ich habe mir die Vögel als Wächter ausgesucht, die jeden davon abhalten, den Weg der Gerechten zu betreten.«
»Es ist für mich unfassbar«, erwiderte Suko leise, »doch ich fange an, dir zu glauben.«
»Ich irre mich nicht.«
»Dann hast du mir den Weg gewiesen, wenn ich dich richtig verstanden habe.«
»Ja, du kannst diesen Spiegel benutzen, um auf die Reise zu gehen. Du wirst die Spur finden. Versuche nur, in andere Welten einzudringen, denn der Stab des Buddha könnte sich überall verbergen, wenn ich mich nicht täusche…«
»Da hast du recht.«
Duvalier ging einen Schritt nach vorn. Mehr brauchte er nicht zu tun, um den Spiegel zu verlassen. Im selben Augenblick verschwand sein zweites Ich.
Suko atmete tief durch. Der Mann vor ihm stand im Schein der Kerzen und konnte ein Lächeln nicht verbergen. Er hatte Verständnis für Sukos Reaktion und fragte ihn: »Willst du dich stärken oder gleich den Versuch unternehmen?«
»Eigentlich gleich.«
»Gut.« Duvalier hatte nichts dagegen. »Ist dir denn die ungefähre Stelle bekannt, wo sich dein Stab befinden könnte?«
»Nein, kaum. Ich… ich muss erst überlegen. Außerdem möchte ich noch nicht sofort beginnen, denn ich will erst einen Test machen.«
»So wie ich?«
»Jaaaa… so ähnlich.«
Duvalier trat zur Seite und deutete dabei auf den Spiegel. »Was hindert dich daran, Suko? Er steht zu deiner Verfügung. Sorge du dafür, dass du ihn richtig nutzt. Dem Gerechten wird er zur Hilfe, dem Ungerechten zur Todesfalle.«
»Da brauche ich wohl keine Angst vor zu haben«, erklärte Suko und lächelte steif.
Duvalier setzte eine ernste Miene auf, als er sagte: »Es lauern überall Gefahren, und ich möchte dir trotz allem einen Helfer mit auf die Reise geben.«
»Wen denn?«
»Einen Vogel, Suko. Einen von meinen wahren Freunden. Er wird dich verteidigen, wenn es hart auf
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