Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0679 - Der Schrecken von Botany Bay

0679 - Der Schrecken von Botany Bay

Titel: 0679 - Der Schrecken von Botany Bay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
zurückkehrte. Wenn er Glück hatte und seine Ausrede sorgsam wählte, kam er mit fünfzig Schlägen davon.
    Bis vor wenigen Augenblicken hatte er sich noch vor der Bestrafung gefürchtet, aber selbst diese Tortur erschien ihm jetzt wie ein Segen, verglichen mit dem Grauen, das ihn im Busch erwartete.
    Stumm verfluchte Watling seinen Leichtsinn und schlich sich weiter durch das Gras. Nur die Vernunft hielt ihn davon ab, wie ein Irrer loszurennen, denn er musste leise sein, wenn er dem Angreifer entkommen wollte. Watling wusste nicht, was im Busch auf ihn lauerte, aber wie die anderen Einwohner der Siedlung hatte er oft genug das schreckliche Heulen in Vollmondnächten gehört und sich in seiner Phantasie den dazugehörigen Körper vorgestellt. Jetzt wünschte er, er hätte das nicht getan. Seine Knie schlotterten vor Angst. Sein Mund war so trocken, dass er nicht einmal genügend Speichel fand, um zu schlucken.
    Nur noch ein Hügel und ein wenig Wald trennten ihn von der Sicherheit der Holzhütten. Vielleicht eine halbe Stunde Fußmarsch…
    Vor ihm knirschte etwas. Watling blieb mit pochendem Herzen stehen. Sein Blick irrte über die Bäume, glaubte Schreckliches in jedem Schatten zu sehen.
    Etwas schnaubte. Metall schlug leise klingend gegen Metall.
    Der Fälscher trat zögerlich einen Schritt vor, blieb erneut stehen. Wenn ich hier einfach stehen bleibe, sagte eine innere Stimme, einfach so, bis der Morgen kommt, bemerkt es mich vielleicht nicht…
    Plötzlich bäumte sich ein Pferd zwischen den Bäumen auf. Watling sah seine wirbelnden Hufe nur eine Sekunde, bemerkte aber trotzdem, dass sie mit Stofffetzen umwickelt waren. Dann brach das Tier auch schon zwischen den Ästen hindurch und galoppierte auf ihn zu. Wie in Zeitlupe beobachtete der Fälscher den uniformierten Reiter, der eine Muskete an seine Schulter setzte.
    Es knallte! Der Schuss zerfetzte einen Ast neben Watling, dessen Haut von zahlreichen kleinen Splittern durchbohrt wurde. Der Schmerz riss ihn endlich aus seiner Starre. Er schrie auf und floh - genau in Richtung des unheimlichen Heulens…
    ***
    Auch die Eora in der Höhle hörten den schrecklichen Laut und den Schuss, der kurz darauf folgte. Die Frauen drückten ihre Kinder an sich, während die Krieger ihre Speere ergriffen und sich am Eingang aufstellten. Sollten Wantapari und der Weiße versagen, bildeten sie den letzten Verteidigungswall gegen den Angreifer.
    Ab und zu warf einer der Eora einen nervösen Blick auf ihren Schamanen, der vor den Felsmalereien stand. Eigentlich hätte er in einer solchen Gefahrenlage die Ahnen und die Beschützertiere des Stammes anrufen sollen, aber aus seinem Mund drang nur eine leise Melodie. Hinter seinen geschlossenen Augenlidern verfolgte er die vorgezeichneten Traumzeitpf ade, die in dieser Nacht vier Männer und eine Bestie beschritten. Für einen von ihnen sollte der Pfad in dieser Nacht sein Ende finden.
    Gulajahli bedauerte das.
    ***
    In seiner Burg zwischen den Zeiten und den Dimensionen öffnete Merlin die Augen.
    Einen Moment lang blieb er sitzen und verarbeitete die Erkenntnisse, die er gewonnen hatte. Wie ein gordischer Knoten hatte der Zeitstrom vor ihm gelegen, ein unentwirrbares Knäuel aus Ursachen und Wirkungen. Alle von ihnen begannen in dem schicksalhaften Jahr 1794. Dort war die Saat gelegt worden, die zu der veränderten Zeit geführt hatte.
    Mit der Beharrlichkeit eines Spürhunds war der alte Zauberer den einzelnen Fäden gefolgt, hatte jedes menschliche Schicksal, das sich dahinter verbarg, auf seine Wechselwirkung mit anderen untersucht. Manches, das ihm anfangs bedeutend erschien, entpuppte sich als Sackgasse, während andere Dinge, die so unbedeutend waren wie ein einzelnes Sandkorn an einem unendlichen Strand, plötzlich ihre Wichtigkeit in dramatischen Konsequenzen enthüllten. Sie alle führten zu einem einzigen Ereignis zurück, einem kleinen Zwischenfall, der es noch nicht einmal als Fußnote in die Geschichtsbücher geschafft hatte. Unbedeutend wie ein Sandkorn - bis es in das Getriebe der Zeit geriet…
    Merlin erhob sich und strich mit einer fahrigen Bewegung über seine Robe. Er hatte nicht nur die Antworten gefunden, die er gesucht hatte, sondern auch seinen eigenen, schrecklichen Fehler erkannt. Seine Furcht, der Zeitstrom könne sich auflösen und eine ganze Galaxie ins Chaos stürzen, hatten ihn unüberlegt handeln lassen. Er hätte nicht von einer naheliegenden Möglichkeit getäuscht werden dürfen, sondern seine

Weitere Kostenlose Bücher