0679 - Der Schrecken von Botany Bay
über das Wetter reden, »Lepra ist eine heimtückische Krankheit. Sie ist nicht so ehrlich wie die Pest oder die Cholera. Diese Seuchen bringen dich in ein paar Tagen um, aber an der Lepra leidest du über Jahre. Dein Körper verfault vor deinen Augen, und es gibt nichts, was du dagegen tun kannst.«
Er ging in die Hocke und hielt Nicole seine in fleckige Bandagen gehüllte Hand entgegen. Die Dämonenjägerin tastete nach dem Dhyarra in ihrer Tasche.
Neben ihr begann Watling leise zu wimmern.
»Wenn ich mit dieser Hand deinen Mund berühre, bist du tot«, sagte der Kranke. »Einfach so, auch wenn du es noch nicht begreifst. Also sag mir jetzt die Wahrheit: Wo kommt ihr her und was wollt ihr hier?«
Nicole zögerte. Ihre Fingerspitzen berührten den Kristall.
»Na gut«, entgegnete sie, um Zeit zu gewinnen. »Die Wahrheit ist, dass…«
Mit einem Knall zerbarst die Luke über der Treppe! Ein menschlicher Körper stürzte die Treppe herunter und schlug dumpf auf dem Boden auf. Einer der Leprakranken schrie. Der Mann vor Nicole kam auf die Beine, während der Blinde versuchte, in einem Wandspalt Deckung zu finden.
»Wir werden angegriffen!«, rief einer der Kranken.
Im gleichen Moment flog ein handgroßer, rechteckiger Kasten in den Kellerraum. Nicoles Augen weiteten sich, als sie erkannte, um was es sich dabei handelte. Sie warf sich zur Seite, zog Watling mit und legte die Arme schützend über ihren Kopf.
Dann brach das Inferno aus.
***
Australien 1794
»Made?«
»Nein danke.«
Wantapari zuckte die Schultern, puhlte eine der fingerlangen, dicken Maden aus einem Stück Rinde und steckte sie auf einen Ast. Wie einen Marshmellow hielt er das weiße Tier ins Feuer.
Zamorra legte den Kopf in den Nacken und sah zu, wie die Funken in den sternenklaren Himmel aufstiegen. Die Dunkelheit war überraschend schnell gekommen, hatte den heißen Tag in weniger als einer halben Stunden abgelöst.
Jetzt saßen nur noch Wantapari und Zamorra am Feuer. Der Rest des Stammes hatte sich nach Gulajahlis Bitten in eine der Höhlen zurückgezogen. Zumindest hatten sie Zamorras Drängen ernst genommen und sich davon überzeugen lassen, dass er allein besser mit dem unheimlichen Angreifer zurechtkommen würde.
Eigentlich war es sogar erstaunlich leicht gewesen, Gulajahli zu überreden - nur bei Wantapari hatte das nicht funktioniert. Zamorra hatte ihm zumindest eingeschärft, hinter ihm zu bleiben, sollte es zu einem Kampf kommen. Er hoffte, dass sich der Krieger an sein Versprechen hielt.
Der Dämonenjäger hörte Wantapari genüsslich schmatzen.
»Eine Frage hätte ich«, sagte er nach einem Moment, »wieso hast du das Huhn gestohlen?«
»Gulajahli hat mich darum gebeten. Ich dachte, es könnte mir Spaß machen.«
Er grinste. »Hat es auch.«
»Und er hat dir nicht verraten, warum du das tun solltest?«
Wantapari schüttelte den Kopf. »Nein, aber Gulajahlis Bitten ergeben nicht immer Sinn. Manche sagen, die Ahnen hätten ihm zwei Geister gegeben, um ihn klüger als alle anderen werden zu lassen. Vielleicht wollte er, dass wir uns begegnen und du zu uns kommst, um den bösen Dämon zu besiegen. Wer weiß…«
Er steckte eine weitere Made auf den Ast. »Die Traumpfade sind verschlungen geworden, seit die Weißen hier sind«, fuhr er dann fort. »Viele Dinge haben sich geändert und werden sich auch weiterhin ändern. Ich weiß nicht, ob wir in der Lage sind, damit zu leben.«
Er sah Zamorra fragend an, erhoffte sich anscheinend eine Einschätzung von ihm. Der Parapsychologe dachte an die Indianer Nordamerikas und den verzweifelten Kampf, den sie verloren hatten. Das war eine Aussicht, mit der er Wantapari nicht belasten wollte, denn seine Generation war wohl die letzte der Eora, die zumindest halbwegs in Frieden leben konnte. Daran würde niemand etwas ändern, egal, was er dem Krieger jetzt sagte.
Zamorra war froh, als ein lautes, animalisches Heulen ihn von der Antwort entband.
»Es geht los«, rief er und sprang auf, während Wantapari nach seinem Speer griff.
Gemeinsam liefen sie auf das offene Buschland zu, um sich dem Werwolf zu stellen.
***
Thomas Watling blieb abrupt stehen, als das langgezogene Heulen die nächtliche Stille zerriss. Um ihn herum flatterten einige verstörte Vögel in den Bäumen. Kleinere Tiere flohen fiepend vor der Gefahr.
Oh Gott, dachte der Fälscher entsetzt, nicht auch noch das. Er hatte sich innerlich bereits darauf eingestellt, die Peitsche zu spüren, wenn er ins Lager
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