Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0680 - Der verratene Traum

0680 - Der verratene Traum

Titel: 0680 - Der verratene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
isolieren. Dabei handelte es sich zum einen um die Ereignisse, die sich im Dezember 1794 rund um Botany Bay abspielten, und zum anderen um die veränderte Gegenwart, die daraus entstanden war.
    Diese beiden Zeitpunkte existierten gleichzeitig. Was immer in der Vergangenheit passierte, hatte direkte Konsequenzen auf die Gegenwart, ohne einen Puffer von mehr als zweihundert Jahren, der dem Zeitstrom Gelegenheit gegeben hätte, sich selbst zu korrigieren. Zwischen diesen Zeitpunkten gab es nichts, keine Geschichte, keine Veränderung, keinen Fortschritt. Alles, was Zamorra in der veränderten Gegenwart zu wissen geglaubt hatte, war nicht mehr als eine Vortäuschung seines Gedächtnisses gewesen, das von Gulajahli ebenso manipuliert worden war wie der Rest der Welt.
    Der Schamane hatte das Australien der Gegenwart in die Traumzeit gehoben, um es für immer vor der Welt zu verbergen.
    Zamorra war sich noch nicht sicher, weshalb er sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, eine neue Gegenwart zu schaffen, vermutete aber, dass es die persönliche Rache des Schamanen an den Kolonialmächten war. In der ursprünglichen Geschichte waren sie es gewesen, die einem ganzen Planeten nachhaltig ihren Stempel aufgedrückt hatten. In der Welt des Schamanen hatte er den Spieß umgedreht.
    Zamorra verstand jetzt auch, weshalb er sich von Merlin so leicht hatte überreden lassen, in die Vergangenheit zu reisen, obwohl er dem Zauberer vor nicht allzu langer Zeit deutlich gesagt hatte, dass er nicht mehr bereit war, ständig für ihn die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
    Aber er hatte keine Wahl gehabt, sondern musste seinem vorgezeichneten Weg ebenso wie Nicole und alle anderen folgen. Zamorra fragte sich nur, ob auch Merlin manipuliert worden war, oder ob er sich einfach hatte täuschen lassen, denn Watlings Flucht war nur ein Köder gewesen und nicht der Auslöser der Veränderungen.
    Der Parapsychologe musste sich eingestehen, dass er Gulajahli bewunderte. Er hatte einen ungeheuer komplexen magischen Vorgang erschaffen, der großes Können und eine nicht zu unterschätzende Brillanz erforderte. Auf seinem Gebiet war der Schamane ein Genie.
    Das änderte allerdings nichts daran, dass sein Plan keinen Erfolg haben durfte.
    Im Jahr 1794 würde der heutige Tag über alles entscheiden, das hatte Zamorra in der Traumzeit gesehen. An diesem Dezemberabend war Gulajahli getötet worden. Wenn es ihm gelang, seinen eigenen Tod zu verhindern - und momentan sah alles danach aus -, verging die alte Zeitlinie, und die neue Gegenwart stabilisierte sich.
    Aber das durfte nicht passieren.
    In Gedanken hörte Zamorra noch einmal die Bitte der Traumzeitwesen.
    »Wirst du Gulajahli für uns töten?«, hatten sie gefragt und dabei angedeutet, ihm im Gegenzug sein Leben zurückzugeben.
    Der Parapsychologe hing ebenso sehr am Leben wie jeder andere, vielleicht sogar noch mehr, denn als relativ Unsterblicher konnte er Jahrhunderte überleben - vorausgesetzt, er ließ sich nicht allzu oft erschießen.
    Trotzdem zögerte er und bat sich Bedenkzeit aus. Es war sein höchstes Prinzip, niemals wissentlich den Tod eines Menschen herbeizuführen. In all den Jahren hatte er damit nie gebrochen, und wäre es »nur« um sein eigenes Leben gegangen, hätte er die Bitte abgelehnt.
    Aber es ging um den Verlauf der Geschichte, um das Schicksal von Millionen, das gegen das Schicksal von Gulajahli und den Eora stand. Beides konnte man nicht gegeneinander abwiegen, aber die Millionen hatten ebenso wie die Eora das Recht, über ihr eigenes Leben zu entscheiden. Und das hatte der Schamane ihnen genommen.
    Gab dies Zamorra das Recht, ihn zu töten?
    Er wusste es nicht. Natürlich hätte er sich hinter der Ausrede verstecken können, der Schamane sei in der wirklichen Geschichte ohnehin gestorben, aber damit machte er sich die Entscheidung zu leicht. Wenn er der Bitte zustimmte, musste er sich darüber im klaren sein, dass er einen Menschen töten würde. Nur ob er dazu in der Lage war, konnte er nicht sagen…
    Zamorra seufzte und stand auf. Er hatte seine Entscheidung getroffen.
    Die Traumzeitwesen sahen seine Bewegung und kamen bewusst langsam auf die Lichtung. Sie wollten sich ihre Anspannung anscheinend nicht anmerken lassen. Insgeheim verglich der Dämonenjäger die Wesen mit Merlin. Beide verstanden die Zusammenhänge des Universums wesentlich besser, als das Menschen vermochten, und beide hüteten ihre Geheimnisse wie Schätze. Auch die Traumzeitwesen hatten Zamorra nicht

Weitere Kostenlose Bücher