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0680 - Der verratene Traum

0680 - Der verratene Traum

Titel: 0680 - Der verratene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Klippe und sah hinaus auf den Ozean. Tief unten lag die Bucht menschenleer vor ihm.
    Seltsam, dachte der Krieger, sollten dort unten nicht die Hütten der Weißen stehen? Und warum ist der Wald nicht abgeholzt? Wo sind die ganzen Menschen?
    »Es ist mein Werk«, sagte Gulajahlis Stimme plötzlich hinter ihm. »Ich habe das Land gerettet.«
    Wantapari sah sich um und wollte den Schamanen fragen, was er damit meinte. Aber dann prallte er erschrocken zurück. Anstelle eines Kopfes trug Gulajahli einen Totenschädel auf den Schultern.
    »Mein Werk«, hauchte der Schädel.
    Wantapari schrie auf und rannte zurück durch den Wald bis auf die Lichtung. »Er ist ein böser Geist!«, schrie er dem Stamm zu. »Gulajahli ist ein böser Geist!«
    Die Männer und Frauen des Stammes drehten sich zu ihm. Ihre leeren Augenhöhlen starrten ihn aus Totenköpfen an. »Mach dir keine Gedanken«, sagten sie gleichzeitig. »Du bist doch einer von uns.«
    Der Jäger wich zurück, prallte mit dem Rücken gegen einen Baum. Zitternd hob er seine Hand und berührte sein eigenes Gesicht.
    Seine Finger spürten die Knochen…
    Mit einem Schrei wachte Wantapari auf - und blickte in Watlings Gesicht.
    »Ich brauche deine Hilfe«, sagte der Engländer.
    ***
    Wie immer waren es die weiblichen Strafgefangenen in der Wäscherei, die als erstes die Neuigkeiten erfuhren. Niemand wusste, weshalb das so war, aber wenn man ein neues Gerücht hören wollte oder Informationen benötigte, musste man sich nur durch die wasserdampfvernebelte Waschküche bis zu den Fässern vorkämpfen, an denen die Frauen mit langen Holzstangen die Stoffe durchs heiße, verseifte Wasser rührten und den Dreck aus der Offizierswäsche entfernten.
    Und genau das tat Sean Mac-Donaghan an diesem Morgen. Er blinzelte in den heißen Nebel, bis er Annie McPherson erkannte, die an einem der Fässer stand.
    Sie lächelte, als sie ihn sah.
    »Sean«, sagte sie in ihrer schottischen Muttersprache. »Was treibt dich so früh am Morgen hierher?«
    Der Schotte erwiderte ihr Lächeln und küsste sie auf die Wange. »Nur du, meine Liebe. Das weißt du doch«, entgegnete er, ebenfalls in schottischem Gälisch.
    Einige der anderen Frauen lachten. Die kleine Waschküche war fest in schottischer Hand, was zu keinem kleinen Teil daran lag, dass die Frauen jeden nicht schottischen Neuzugang so lange tyrannisierten, bis die Engländerinnen oder Waliserinnen bei den Offizieren um eine andere Arbeit bettelten.
    Sean lachte einen Augenblick mit den Frauen, wurde dann aber ernst.
    »Ist es wahr?«, fragte er.
    Es wurde still in der Hütte. Die Frauen sahen sich nervös um.
    Annie McPherson nickte. »Heute Mittag ist es soweit. Eddie und Mad Dog führen sie an.«
    MacDonaghan seufzte. »Das ist Irrsinn. Wir werden alle drauf gehen.«
    »Wenn das stimmt, was man über Grose munkelt, schlagen sich ein paar der Soldaten vielleicht sogar auf unsere Seite.«
    »Meinst du wirklich, dass Grose ein Monster ist?«, fragte MacDonaghan ungläubig. »Gut, er ist ein aufgeblasener Idiot, aber das macht ihn noch nicht zur Bestie.«
    Annie drehte nachdenklich den Holzstab durch das dampfende Wasser im Fass. Der beißende Geruch der Seife trieb MacDonaghan die Tränen in die Augen. Beide wussten, dass ihnen nichts übrig blieb, als zu kämpfen. Die Soldaten würden keinen Unterschied zwischen kämpfenden und friedlichen Sträflingen machen. Da war es schon besser, im Kampf zu sterben.
    »Pass gut auf dich auf, Annie«, sagte MacDonaghan knapp und verließ die Hütte. Annies gehauchtes »Du auch, mein Lieber« hörte er nicht mehr.
    Der Schotte trat hinaus in die Sonne und beobachtete, wie die Arbeitskolonnen zusammengestellt wurden. Wenn man die Atmosphäre in der Kolonie kannte, bemerkte man sofort, dass an diesem Morgen etwas nicht stimmte. Die Gefangenen wirkten angespannt. Immer wieder wurden kurze Botschaften flüsternd ausgetauscht. Männer, die sonst keine drei Worte miteinander wechselten, nickten sich verschwörerisch zu, als wären sie Teil eines Geheimbundes.
    Auch den Soldaten entging die seltsame Stimmung nicht. Nervös gingen sie die Kolonnen entlang und brüllten ihre Befehle lauter als normalerweise üblich. Sie wussten, dass direkt unter ihrer Nase etwas vorging, aber sie konnten nichts dagegen tun.
    Die Zeit des Aufstands war gekommen…
    ***
    Gegenwart
    Thomas Watling rannte durch den Wald.
    Es war nicht die Panik, die ihn mit immer schneller werdenden Schritten über den weichen Boden laufen ließ. Es

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