0683 - Die Verdammten der Nacht
vertrauen. Das hast du doch immer getan – oder?«
»Ja, Mike, ja…«
»Und, hat es sich geändert in der Zeit, in der ich nicht mehr bei dir gewesen bin?«
»Nein, Mike, nein.«
Er kam vor, und er bewegte sich dabei kaum hörbar. Er breitete die Arme aus, als wollte er seine Mutter umfangen. Sie ließ sich gegen ihn fallen.
Ihre Körper berührten sich. Zwar nahm sie den fremden Geruch wahr, aber er war doch irgendwo vertraut.
»Jetzt, Mutter, jetzt…«
Brenda Evans wußte nicht, was mit ihr geschah. Jedenfalls lösten sich ihre Beine, und sehr bald schon schwebte sie über das Geländer der Loggia hinweg.
Sie rutschte hinein in die Dunkelheit, in die tiefe, schwarze Dunkelheit, in den Wald hinter dem Haus…
***
Ein neuer Tag!
Eine herrliche Sonne, strahlend und hell, dabei so stark blendend, daß Jane Collins die Vorhänge zugezogen hatte. Sie saß am Frühstückstisch, ihr gegenüber Lady Sarah, die schon einige Male den Kopf geschüttelt hatte.
Endlich stellte sie die Frage: »Was ist eigentlich mit dir los, Jane Collins?«
»Nichts. Was soll mit mir los sein?«
»Hör auf, Jane. Du kannst doch eine alte Frau nicht foppen. Etwas stimmt mit dir nicht.«
»Doch, es ist alles okay. Ich fühle mich prächtig, ich bin in Ordnung, das siehst du doch. Ich esse sogar und nehme keine Rücksicht auf mein Gewicht.«
»Aber deine Laune.«
»Ist gut.«
Sarah Goldwyn drückte sich zurück. »Nein, mein Kind, das ist sie nicht. Sie ist nicht gut.« Tief atmete sie durch. »Deine Laune ist überhaupt keine. Du bist so still. An diesem herrlichen Morgen kann man eigentlich nur jubeln oder…«
»Ja, oder…«
Die Horror-Oma nickte. Sie schob den bunten Frühlingsstrauß zur Seite, weil sie Jane direkt anschauen wollte. »Kommen wir doch mal auf das Oder zurück.«
Jane lächelte und fuhr durch ihre blonden Haare, in denen eine Schleife steckte. »Dir entgeht auch nichts.«
»Viel zuviel, Kind. Aber ich bin eine alte Frau mit einer gewissen Lebenserfahrung. Da schaut man sich die Menschen schon etwas anders an als noch vor vierzig Jahren.«
»Da kann ich nicht widersprechen.«
»Wo also liegt das Problem?«
Jane drückte Eierschalen mit der flachen Hand zusammen und lauschte den knackenden Geräuschen. »Kannst du dir das denn nicht denken, Sarah?«
»Na ja, ich habe so eine Ahnung.«
»Sprich sie aus.«
»Der gestrige Tag, nicht?« Die Horror-Oma schaute die jüngere Frau scharf an.
»Richtig.«
»Die Frau, Jane. Wie hieß sie noch?« Sarah lachte. »Da siehst du, wie mein Gedächtnis nachläßt.«
»Brenda Evans.«
»Stimmt. Du hast mit ihr noch einmal am Abend gesprochen. Da ging es ihr doch gut.«
»Sagte sie.«
»Und du hast ihr nicht geglaubt? Weshalb nicht? Kein Mensch gibt so etwas zu, wenn das Gegenteil der Fall ist. Sie wird sich die Existenz ihres Sohnes eingebildet haben, Jane. Darauf sollten wir uns einigen. Sie hat einen Doppelgänger gesehen. Zudem habe ich aus den wenigen Worten, die wir mit ihr wechselten, erfahren, daß sie sehr an ihrem Kind gehangen hat. Da baut sich im Innern des Menschen schon etwas auf, das er gern hätte. Sie hat den Tod ihres Sohnes innerlich noch nicht akzeptiert. Sie läuft nach wie vor gewissen Wahnvorstellungen nach. Sie will, daß der Sohn noch lebt.«
»Das kann sein.«
Sarah lachte. »Weshalb machst du dir dann Sorgen?«
Jane schaute erst über den Tisch hinweg. »Und wenn nun alles ganz anders ist?«
Sarah Goldwyn lächelte, trank einen Schluck Tee, nickte und fragte dann: »Wie anders?«
»Das genau ist mein Problem, Sarah. Ich weiß es eben nicht. Ich weiß nicht, wie anders es sein könnte. Kannst du das nicht begreifen? Es könnte alles stimmen.«
»Daß ihr Sohn noch lebt, meinst du?«
Jane nickte. »Wie auch immer.«
»Das mußt du mir genauer erklären.«
»Der lebende Tote, der Zombie, der aus dem Grab Zurückgekehrte.«
Die Horror-Oma seufzte. »Jane, du weißt genau, daß ich gewissen Dingen sehr positiv gegenüberstehe. Wir beide sind darüber informiert, daß die Menschen aus gewissen Welten bedroht werden. Das muß nicht unbedingt etwas mit dem Satan zu tun haben. Das können ganz andere Dinge sein. Es existieren auch Zombies, das wissen wir. Aber mal ehrlich. Hat sich dieser Mike wie ein Zombie benommen?«
»Ich kann dir nicht sagen, wie sich ein Zombie benimmt.«
»Denk an den Film.« Sie lächelte.
»Ja, schon. Außerdem habe ich mich mit Mike nicht unterhalten. Es gelang mir auch nicht, ihn anzuschauen. Du weißt
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