0688 - Der Kult
verschafft hatte, das er sich nur vorstellen konnte.
Er war darüber informiert. Auch die anderen Mitglieder der Familie hatten von Fahrans Tod erfahren. Sie ahnten ebenfalls etwas, aber sie hatten nicht gewagt, ihm eine Frage zu stellen, obwohl alle wußten, daß die Zeit nun gekommen war.
Die Vergangenheit hatte sie eingeholt. Es war auch falsch gewesen, darüber nachzusinnen, daß sie ihr durch Flucht entrinnen konnten. Die Kräfte waren einfach stärker und denen der Menschen weit überlegen. Damit mußte er sich abfinden.
Die Farbe trocknete ein. Sie sah so aus, als würde, sie sich innerhalb des Holzes verteilen und hineinbrennen. Das Gesicht war noch unbemalt.
Wieder griff er nach dem Pinsel und führte die Spitze mit sicherer Hand über das Holz des Gesichts.
Was er da schaffte, war einmalig. Ein begnadeter Künstler hätte es nicht besser machen können.
Durch seine Kunst bekam das Gesicht ein gewisses Leben, obwohl es eigentlich nur mit diesen im Prinzip dunklen Farben bemalt worden war.
Vor ihm lag ein kleines Wunder…
Die Puppe besaß jetzt ein Gesicht mit Ausdruck, auch wenn dieser böse war. Scharfe Linien kerbten die Mundwinkel ein. Die Nase sprang spitz hervor, die Augen sahen aus wie winzige Kugeln, und auch sie schimmerten dunkel.
Wunderschön war dieses Kunstwerk anzusehen. Über Kulanis Lippen glitt ein stolzes Lächeln. Die erste Hürde war von ihm genommen worden. Er hätte nicht gedacht, daß es so einfach sein würde.
Trotz seines hohen Alters hatte er noch alles behalten, nichts war aus seinem Gedächtnis verschwunden, alles lag sehr klar vor ihm.
Er dachte an den Kult. Und er dachte daran, daß er ihn stoppen mußte. Mit dieser Puppe und mit den Nägeln, die er noch nicht in den Körper gedrückt hatte.
Noch lagen sie harmlos neben der Puppe, aber auch sie waren etwas Besonderes. Die Zauberin, von der er das Haar bekommen hatte und die gestorben war, hatte ihm die Nägel überlassen. Sie waren in einem bestimmten Feuer gehärtet worden und sollten den Widerstand herstellen, der Menschen vor dem Kult schützte.
Bisher hatte Kulani noch keinen Test durchführen können, und er war auch froh darüber gewesen.
Nun stand fest, daß er daran nicht mehr vorbeikam, und er wollte all sein Wissen einsetzen, um auch einen Erfolg zu erringen.
Er nahm den ersten Nagel zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte ihn dabei, schaute ihn an, nickte zufrieden, als er dessen Härte überprüft hatte.
Ja, das konnte klappen.
Kulani senkte den Kopf, starrte die Puppe an, strich noch einmal tastend über das Holz, drückte dann mit der Nagelspitze dagegen und war zufrieden, als er merkte, wie weich das Material war.
Der Nagel würde seinen Weg finden. Er würde hineindringen in den Körper und steckenbleiben.
Die Mitte der Brust hatte er sich ausgesucht. Noch einen Moment wartete er ab, dann drückte er zu.
Das Holz war so weich, daß es dem Druck und der Spitze kaum Widerstand entgegensetzte. Es splitterte keineswegs. Es zeichneten sich weder Risse noch Spalten ab, und das ließ eine gewisse Zufriedenheit in Bogan Kulani hochsteigen.
Die erste Nadel steckte.
Er nahm die zweite. Die wiederum fand neben der linken Schulter ihren Platz.
Die dritte an der rechten Schulter, und eine vierte Nadel war für das Gesicht der Puppe bestimmt.
Wo hinein?
Die Stirn war wichtig.
Und das tat er auch.
Diesmal zitterte Kulani, als hätte er Angst davor, etwas zu zerstören. Die kurze Berührung, danach der Druck.
Es klappte.
Auch in die Stirn hinein drang die Nadel, ohne das Holz zu zerbrechen. Es zeigte sich nicht ein neuer Riß, die Puppe war elastisch geblieben. Aber erst jetzt war sie perfekt.
Bogan Kulani lehnte sich zurück. Ein befreiender Atemzug drang aus seinem Mund. Es hörte sich an wie ein schweres Seufzen, als wollte er von einem geliebten Menschen Abschied nehmen.
In seinen Augen lag ein ungewöhnlicher Glanz. Die Müdigkeit des Alters war daraus verschwunden, er hatte es geschafft, er war diesem Zauber zugetan, er wußte nun, daß er sich dem verfluchten Wayang-Kult stellen konnte. Bogan war nicht so waffenlos wie sein mißratener Sohn Fahran, den der Tod überrascht hatte.
Der Tod war ein Meister der Taktik, das wußte der alte Mann ebenfalls. Er schlug immer dann zu, wenn man es von ihm nicht erwartete. Da er den Kult kannte, stellte er sich die Frage, wer seinen Sohn umgebracht hatte.
Es waren alle schlimm. Aber zu den beiden schlimmsten gehörten der Schwarze Prinz und der
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